11. Ausgabe

Regeln brechen und Zahlen jonglieren am Retail Forum 2022

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von Leslie Haeny und msc

Eine geballte Ladung Facts und Figures, viele Retail- und Führungstipps aus der Praxis sowie einen Aufruf zum Regelbruch hat das Retail Forum 2022 geboten. So erfuhren die Teilnehmenden unter anderem, warum sich Führen wie beim Bergsteigen lohnt und warum der "dümmste Rabatt-Tag" dieses Jahr essenziell ist.

"Wenn heute etwas daneben geht, ist es nicht unsere Schuld - es ist der Mond", begrüsste Marcel Stoffel, Gründer und CEO von Swiss Council of Shopping Places, die Teilnehmenden zum 11. Retail Forum. Am Veranstaltungstag, dem 8. November, war nämlich nicht bloss Vollmond, es gab zusätzlich eine Mondfinsternis. Stoffel gab zum Einstieg im Radison Blu beim Flughafen Zürich einen Überblick der Veranstaltungen, die 2022 endlich wieder stattfinden konnten. Darunter die Study Tour, die Teilnehmende nach Mailand und Turin führte. Laut Stoffel wird Swiss Council of Shopping Places nächstes Jahr mit dem City Congress zudem ein neues Eventformat starten. Dabei handelt es sich um einen Fachkongress für Stadtentwicklung, City Management und Placemaking. Die Veranstaltung ist für den 22. Juli im Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) in Rüschlikon (ZH) geplant.

Verunsicherung und Zurückhaltung beim Kaufverhalten

Wie gewohnt startete der Morgen zahlenlastig. Als erster Redner gab Michel Rahm, Client Business Partner, Marketing and Consumer Intelligence ​​bei GfK Schweiz, einen Einblick in die Entwicklungen im Schweizer Detailhandel. "Nach einem kurzen Aufatmen nach der Pandemie kam der nächste Hammer - Krieg in Europa", sagte er. Das verunsichere die Konsumentinnen und Konsumenten und bewege sie zum Umdenken. 2022 schob die Bevölkerung darum bisher Käufe auf, kaufte weniger Waren des persönlichen Bedarfs, setze auf Second-Hand-Produkte und stieg von Markenartikeln auf günstigere Alternativen um. Laut Rahm machen sich die Konsumentinnen und Konsumenten aber deutlich weniger Sorgen um die Versorgungssicherheit (15 Prozent) als um Preiserhöhungen (33 Prozent).

Michel Rahm, Client Business Partner, Marketing and Consumer Intelligence ​​bei GfK Schweiz. (Source: Netzmedien)

Nach wie vor erfolgreich seien Discounter und der Onlinehandel. Erstmals stagniert laut dem GfK-Experten der Auslandsumsatz im Onlinebereich und die .ch-Domains wachsen weiter. Einkäufe im Internet machen 12 Prozent des Gesamtmarktes aus. Im Heimelektronik-Bereich werde mittlerweile jeder zweite Franken online ausgegeben.

Aspekte wie der anhaltende Krieg, Inflation und Preisvolatilität sowie die Coronapandemie machen es schwer, Prognosen abzugeben, wie Rahm sagte. Er wagte aber trotzdem einen Blick in die Kristallkugel. Zwischen 2022 und 2024 sollen:

  • Konsumentinnen und Konsumenten mehr in Freizeit, Unterhaltung und Reisen investieren;

  • Hersteller ihre Produkte zunehmend direkt an Endkonsumenten und -konsumentinnen verkaufen (D2C-Geschäft);

  • die Nachhaltigkeit bei Verpackung und Angebot stetig steigen;

  • Omnichannel-Anbieter auf tiefer Basis überdurchschnittlich wachsen;

  • Marktplätze als Volumentreiber agieren.

Zudem prognostizierte Rahm, dass der Onlinehandel ab 2023 weider um 8 bis 10 Prozent zulegen werde.

Letzter Konsumrausch vor dem Inflationskater

Patrick Kessler, CEO des Handelsverbandes Schweiz, konzentrierte sich auf den digitalen Handel und verglich diesen mit einer Achterbahnfahrt. "Sie werden seit über zwei Jahren ordentlich durchgeschüttelt - wir auch", sagte er. Kessler entwarnte aber auch. Verglichen mit 2019 sei alles im grünen Bereich. So lag der Onlinehandel im September 2022 gegenüber dem selben Monat vor drei Jahren um 47,6 Prozent im Plus. Verglichen mit dem Vorjahr rechnet der Handelsverband-CEO bis Ende 2022 mit einer Nullrunde.

Patrick Kessler, CEO des Handelsverbandes Schweiz. (Source: Netzmedien)

Eine wichtige Rolle werde dieses Jahr der Black Friday spielen. Der laut Kessler "dümmste Rabatt-Tag, den wir haben" werde der letze Konsumrausch vor dem Inflationskater im neuen Jahr sein. Denn, wie Kessler sagte, kommt die Probe, wie es der Bevölkerung wirklich geht, Anfang 2023, wenn die erste Krankenkassenrechnung ins Haus flattert und die Mietpreise nach oben gehen.

"D2C beschäftigt Onlinehändler schon eine Weile”, sagte Kessler. Im Sport und bei Weisser Ware seien besonders viele Marken vertreten, die statt über Händler direkt an Konsumentinnen und Konsumenten verkaufen. Der Handelsverband-CEO riet allen Anwesenden dazu, ihr Portfolio nach Marken zu durchkämmen, die ins D2C-Geschäft umsteigen könnten.

Für das kommende Jahr rechnet Kessler mit starken Sales-Aktivitäten seitens der Händler, da sie ihre momentan vollen Lager leeren müssen. Ab dem Frühling soll es dann eine psychologische Entspannung in der Bevölkerung geben - es sei denn, der Ukraine-Krieg oder der Konflikt zwischen China und Taiwan eskaliert. "Eigentlich müssten alle Onlinehändler zwei goldene Jahre hinter sich haben und jetzt über ein gewisses Polster verfügen. Schwierige Jahre sind immer eine Gelegenheit, um sich am Markt zu bewähren", schloss Kessler.

"Lokal einkaufen ist in"

Der Dritte im Bunde, der sich mit Zahlen und Konsumtrends auseinandersetzte, war Yves Lochmüller, Head of eCom Sales, Consulting e-commerce payment bei Nets Schweiz. "Lokal einkaufen ist in", versicherte er. Gemäss dem von Nets herausgegebenen E-Commerce Report kaufen 40 Prozent der Bevölkerung gerne lokal, weil es sich für sie in Bezug auf Nachhaltigkeit richtig anfühlt. 21 Prozent verweigern ausserdem den Einkauf bei Amazon bewusst aufgrund der Nachhaltigkeit. Für 30 Prozent fühlt sich Einkaufen bei Schweizer Händlern individuell und vertraut an und 23 Prozent finden die Versandoptionen bei hiesigen Anbietern gut und flexibel.

Yves Lochmüller, Head of eCom Sales, Consulting e-commerce payment bei Nets Schweiz. (Source: Netzmedien)

Lochmüller warnte aber auch davor, dass ausländische Händler immer mehr Kundschaft aus der Schweiz gewinnen. Wie er sagte, liegt das unter anderem daran, dass Produkte "Made in Switzerland" im Ausland häufig günstiger angeboten werden als in der Schweiz. Zudem gibt es Produkte und Marken, die in der Schweiz schlicht nicht erhältlich sind.

Als weiteren Punkt sprach Lochmüller Warenkörbe in Onlineshops an, die es nie bis zur Kasse schaffen. 24 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten lassen den Warenkorb liegen, weil ihnen die Versandkosten zu hoch sind, während 19 Prozent die Produkte gar nicht dringend benötigen. 18 Prozent brechen den Kaufvorgang ab, weil sie auf Probleme auf der E-Commerce-Website stossen.

Das E-Commerce Stimmungsbarometer 2022 hat übrigens ergeben, dass sich eine Kluft zwischen der Erwartungshaltung der Konsumentinnen und Konsumenten und den tatsächlichen Produkten auftut. Mehr dazu lesen Sie hier.

Mehr Entertainment, statt nur Einkauf

Globus-CEO Franco Savastano trat auf die Bühne, um den Anwesenden die vier strategischen Säulen des Luxuswarenhauses vorzustellen. Diese lauten Customer Centricity, Iconic Experience Destination, Operational Excellence und Amazing People. Unter ersterem versteht Savastano den Kunden als "das Wichtigste in allem, was wir tun und wie wir handeln". Globus habe ein achtköpfiges Datenteam, um seine Kundschaft besser kennen und verstehen zu lernen. Ein wichtiger Teil der Customer Centricity sei der Omnichannel-Ansatz. So sind laut dem CEO alle Mitarbeitenden im Warenhaus mit iPhones ausgestattet, damit sie der Kundschaft das komplette Angebot zeigen können.

Globus-CEO Franco Savastano. (Source: Netzmedien)

"Warenhäuser müssen heute viel mehr Entertainment als nur Einkauf bieten", fuhr Savastano fort. Hier kommt die zweite Säule - Iconic Experience Destinations - ins Spiel. So habe das Warenhaus an der Bahnhofstrasse in Zürich neuerdings immer Samstags einen DJ vor Ort, der im Erdgeschoss auflegt. Ein weiterer wichtiger Treiber für Globus ist in diesem Bereich Exklusivität. "Solange Sie Marken haben, die begehrt werden, sind Sie sicher. Sobald Sie sich davon entfernen, geraten Sie in den Preiskampf mit anderen."

Unter der dritten Säule Operational Excellence ist der reibungslose Ablauf firmeninterner Prozesse und deren ständige Anpassung und Optimierung zusammengefasst. Globus hat dafür beispielsweise eine neue ERP-Plattform in Betrieb genommen und die interne Kommunikation optimiert.

"Letzes und wichtigstes Thema sind die Mitarbeitenden", sage Savastano. Die Globus-Mitarbeitenden seien im Durchschnitt 40 Jahre alt und bleiben 7 Jahre lang im Unternehmen. "Wir müssen uns damit abfinden, dass das künftig nicht mehr so sein wird. Die Generation Z sieht den Job eher als Projekt, denn als Langzeitbeschäftigung." Der Globus-CEO rät den Führungskräften in Hinblick auf die junge Generation mehr Verantwortung nach unten abzugeben. "Die Generation Z liebt das."

Führen wie beim Bergsteigen

"Ich bin mir nicht sicher, ob viele Führungskräfte tatsächlich fürs Führen brennen", sagte der CEO der Globetrotter Group André Lüthi. Dabei ist die Leidenschaft für das, was man tut laut Lüthi etwas vom Wichtigsten. "Wenn du brennst für das, was du machst, dann spüren das die Mitarbeitenden und die Kunden." Er selbst - ein absoluter Reise- und Abenteuer-Enthusiast, wie aus seinem Auftritt klar wurde - habe beim Bergsteigen am meisten übers Führen gelernt. Beim Bergsteigen haben derjenige, der Führt und die, die geführt werden das gleiche Ziel: den Gipfel. "Das ist im Unternehmen meist nicht so." Wer führt, müsse die Spur legen und auch dafür sorgen, dass alle, die hinter ihm oder ihr gehen, hinterherkommen.

André Lüthi, CEO der Globetrotter Group. (Source: Netzmedien)

Als CEO einer Unternehmensgruppe, die ohne Businesspläne funktioniert, riet Lüthi zudem dazu auf, zwischendurch einen Umweg zu gehen. "Weil es der Businessplan vorschreibt und der Verwaltungsrat so will, rennen viele einfach gerade aufs Ziel zu, ohne nachzusehen, ob das überhaupt etwas bringt und ob alle noch an Bord sind."

Der moderne Arbeitsplatz ist prozessorientiert

Stefanie Wandiger, Head of CC "Office & Education" bei Integral nahm die Anwesenden auf eine kurze Zeitreise durch die Welt der Arbeitsplatzgestaltung mit - begonnen bei der industriellen Revolution über erste Grossarumbüros bis zum modernen Google Office. Einer der wichtigsten Faktoren bei der Gestaltung moderner Arbeitsräume, abgesehen vom Menschen und der Technologie, seien die Prozesse. Diese sollte ein Arbeitsplatz wiederspiegeln. "Alles ist viel kollaborativer und digitaler geworden. Zudem sind die Hierarchien flacher." Auch die seit der Pandemie viel üblichere Arbeit im Homeoffice müsse bei der Gestaltung miteinfliessen.

Stefanie Wandiger, Head of CC "Office & Education" bei Integral. (Source: Netzmedien)

Aneinander gereihte Schreibtische sind laut Wandiger passé. Viel wichtiger als die individuelle Sitzgelegenheit mit Monitor sind Räume für den gemeinsamen Austausch geworden - seien das Meeting- und Brainstorming-Zonen oder die Büroküche respektive der Pausenraum.

Laut Wandiger trägt die Arbeitsumgebung massgeblich zur Gefühlsregung der Mitarbeitenden bei. "Wenn ich es schaffe, positive Gefühle bei Mitarbeitenden hervorzubringen, dann leisten sie mehr, haben ein höheres Qualitätsniveau und bieten dadurch auch einen besseren Kundenservice." Daher sei nicht bloss prozessorientiertes, sondern auch emotionales Designen angesagt. Räume könnten dabei ganz unterschiedliche Gefühle unterstützen. Die Expertin zeigte einige Beispiele dafür. Ein bunt eingerichtetes Büro, das die Kreativität ansprechen soll, ein in hellen Farben, mit Holzelementen ausgestattetes Büro, das Verlässlichkeit und Harmonie ausstrahlen soll und ein sehr geradliniges Design mit dunkleren Farbtönen, das Ehrgeiz und Performance antreiben soll. "Menschen können 135 Emotionen ausleben und erfahren", sagte Wandiger. Daher gelte es, sich beim Designen genau zu fragen, welche davon man unterstützen möchte.

Retail Award 2022

Teil des Retail Forums ist jeweils die Verleihung des Retail Awards. Dieses Jahr gewann PKZ-CEO Manuela Beer die Auszeichnung. Als Gewinnerin winkt ihr eine Reise nach Cannes an die Retail-Messe Mapic. Beer konnte allerdings nicht vor Ort sein, um die Auszeichnung persönlich entgegenzunehmen. Vergangenes Jahr erhielt Sandra Freund, Inhaberin von SF Retail, den Award. Merh zum Retail Forum 2021 können Sie hier nachlesen.

PKZ-CEO Manuela Beer (im Hintergrund) konnte den Retail Award nicht persönlich entgegennehmen. Es vertrat sie Konrad von Niederhäuser (rechts). (Source: Netzmedien)

Ein Aufruf zum Regelbruch

Die Schluss-Keynote gehörte Markus Czerner. Der Speaker und Buchautor rief die Anwesenden dazu auf, öfter Regeln zu brechen. "Ich meine damit nicht Gesetze oder soziale Normen", erklärte er. "Es geht darum, andere Wege zu gehen." Jede persönliche Gewohnheit sei eine ungeschriebene Lebensregel. Die Zeit wann jemand aufsteht, wie er oder sie zur Arbeit fährt, wo man sein Mittagessen kauft etc. nannte Czerner hier als Beispiele. "Wenn uns diese Regeln im Weg stehen, dürfen wir sie brechen." Es dauere etwa sechs Wochen, bis der Mensch sich an etwas Neues gewöhnt habe. "Quält euch sechs Wochen, dann fühlt es sich ganz normal an", lautete darum der Rat des Redners.

Speaker und Autor Markus Czerner animierte zum Regelbruch. (Source: Netzmedien)

Als eine ungeschriebene Regel, die es unbedingt zu brechen gelte, erwähnte Czerner die Überzeugung, dass etwas nicht geht. "Immer wieder gelten Dinge über lange Zeit als unmöglich, bis es einer macht. Dann ziehen plötzlich ganz viele nach und können es auch." Stelle man sich vor, dass etwas möglich ist, werde es auch möglich.

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