"Internet of Insecure Things" in der Baubranche
Am 4. Oktober hat der zweite Gebäudetechnik-Kongress nach Luzern gelockt. Redner aus dem In- und Ausland sprachen über die Digitalisierung in der Baubranche und forderten neue Rahmenbedingungen.
Am 4. Oktober 2018 hat der zweite Gebäudetechnik-Kongress im KKL Luzern unter dem Leitthema "Digital & Smart" stattgefunden. Wie das Event-Organisationskomitee mitteilt, lockte der Gebäudetechnik-Kongress 2018 mit Referenten aus dem In- und Ausland, die über die fortscheitende Digitalisierung der Branche sprachen.
Adrian Altenburger, OK-Präsident und Vizepräsident des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA), sagte während seiner Keynote: "Wir möchten mit dem Gebäudetechnik-Kongress Forschung und Praxis näher zusammenführen." Bis heute gebe es nur wenige Orte, an denen sich diese beiden Welten begegnen könnten. Er forderte fundierte Rahmenbedingungen für die Digitalisierung der Branche, etwa in Form von Normen.
Adrian Altenburger, Vizepräsident SIA. (Source: Medesco)
Am Kongress sprach auch Deepak Aatresh, Mitgründer und Geschäftsführer des Silicon-Valley-Start-ups Aditazz. Die Firma versteht sich als algorithmenbasierter Generalplaner und baut in den USA etwa Spitäler. Aatresh sprach über die automatisierten Computerprogramme von Aditazz, die Planungsaufgaben übernehmen. Prozessdiagramme liessen sich mit der Software von Aditazz automatisch in 3-D-Pläne umsetzen. Dabei gehörten alle Bauten im Prinzip derselben Kategorie an. Gebäude sind Sammlungen von 3-D-Objekten, die durch Regeln verbunden sind, sagte Deepak.
Deepak Aatresh, Co-Founder & CEO Aditazz. (Source: Medesco)
Verdrängung oder Fortschritt?
"Architektur ist nicht objekt-, sondern subjektbezogen", sagte hingegen Sacha Menz, Professor für Architektur und Bauprozesse an der ETH Zürich. Mit Leichtbau und kluger Verdichtung könne der Schweizer Gebäudepark ebenso modernisiert werden wie mit dezentraler Gebäudetechnik. Mit neuen Zugängen liessen sich Objekte schaffen, die trotz automatisierter Fertigung "offen für Subjekte und damit Interaktion sind." Als Beispiel nannte er das von Computern berechneten und von Robotern erstellte Dach des 2016 eröffneten "Arch Tec Lab" an der ETH Zürich.
Urs von Arx, CEO von Hefti Hess Martignoni (HHM), sieht in der Zukunft mehr Chancen als Risiken für die Planer, wie er sagte. Digitale Technologien und Prozesse würden in nahezu allen Bereichen verschmelzen, von Zusammenarbeit über (Aus-)Bildung bis zum Gesundheitswesen. Durch den Markteintritt neuer Player erwartet er grosse Vereinfachungen. Als Beispiel nannte er die modularen Aktivhäuser von Werner Sobek, die im Prinzip nur noch Anschlüsse für Energieversorgung, Wasser und Abwasser benötigten.
Bessere Arbeitsplätze
Hannes Mayer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Gramazio & Kohler an der ETH Zürich, berichtete aus der Praxis des robotergestützten Bauens: "Für die Dachkonstruktion des Arc Tec Lab mussten wir eine Million Nägel nach SIA-Normen platzieren. Solche Aufgaben sind mit herkömmlichen Abläufen unmöglich zu lösen", sagte Mayer. Jedoch könne man bestehende Normen in ein Bausystem überführen und damit automatisieren. Weil Ingenieure und Architekten beide in der Programmiersprache Python schreiben, könnten sie sich gut miteinander verständigen.
In einer Podiumsdiskussion besprachen die Teilnehmer die Folgen der neuen Prozesse auf die Arbeit in der Baubranche. HHM-CEO Urs von Arx prognostizierte eine Verlagerung von Arbeitsplätzen: "Beim Holzbau sehen wir, dass längst nicht alles von Maschinen produziert wird. Vielmehr gibt es mehr Arbeitsplätze in der Fertigungshalle. Das muss nicht schlecht sein. Die Arbeit auf der Baustelle gehört ja nicht gerade zu den Gesündesten."
Neue, branchenfremde Anbieter
Marc Beermann, Mitgründer und COO der Allthings Technologies, sagte an seiner Keynote: "Immobilienbewirtschaftung funktioniert heute noch weitgehend so wie vor 50 Jahren. Das wird sich ändern." Er glaubt, dass in Zukunft Gebäudebesitzer direkt mit ihren Mietern kommunizieren. Der bisherige Intermediär, die klassische Bewirtschaftungsfirma, entfalle dann. Ein Indiz dafür sei der Markteintritt von grossen IT-Playern in die Baubranche.
Michael Scheiwiller, Leiter Projektentwicklung bei der Methabau-Gruppe, nannte die Holzbaubranche als Vorbild. Was die Holzbauer seit Jahrzehnten vormachen, werde nun von anderen Branchen entdeckt: Vorfertigung im Werk, schnelle Montage auf der Baustelle. "Für uns gibt es keine halben BIM-Lösungen. Wenn schon, setzen wir vollständig auf BIM, und zwar bis zum letzten Detail", sagte Scheiwiller.
Bummler- und Expressverbindungen
Christian Grasser, Geschäftsführer des Telecom-Branchenverbandes Asut, sagte: "Seit einigen Jahren zeichnet sich ab, dass sich das Smarthome als Teil des Internets der Dinge weiterentwickeln wird, etwa mit LoRaWAN." In einigen Siedlungen und Stadtteilen seien bereits LoRa-fähige Verbrauchszähler für Strom, Gas oder Wasser verbaut. Grosser Vorteil dieser batteriebetriebenen Sensoren sei ihre Lebensdauer von 5 bis 15 Jahren. Am anderen Ende des Spektrums stehe schon bald der Mobilfunk: In der Schweiz soll ab 2019 der neue Standard 5G eingeführt werden. Er kann bis zu 1 Million Geräte pro Quadratkilometer gleichzeitig verbinden, beim aktuellen Standard 4G sind es 1000 Geräte.
Martin Leuthold, Mitglied der Geschäftsleitung von Switch, erinnerte daran, dass die Begeisterung für aggregierte Daten, Cloud-Lösungen und digitalisiertes Planen und Bauen zuweilen den Blick für die Sicherheit verstellen. Das entsprechende Bewusstsein sei in der Baubranche aber noch kaum vorhanden, was sich unter anderem im euphorischen Anschliessen von "Dingen" ans Internet zeige. Leuthold sprach deshalb von einem „Internet of insecure things“. Bei Millionen von Smart-Home-Komponenten gebe es diesbezüglich ein Marktversagen. "Sicherheit kostet nur, und dafür mag niemand bezahlen. Deshalb werden wir Minimalstandards definieren müssen, wie sie zum Beispiel auch für Elektrogeräte gelten."
Martin Leuthold, Chief Information Security Officer, Geschäftsleitung Switch. (Source: Medesco)
Innovativer Nachwuchs
Der Schweizerische Verein von Gebäudetechnik-Ingenieuren SWKI vergab am Kongress den "Students Competition"-Ausbildungspreis, mit dem sie Bachelor- und Masterarbeiten von jungen Gebäudetechnikern auszeichnet. Den ersten Preis erhielten Gregor Jeker und Timotheus Zehnder für Ihre "Empfehlung für ein Anergienetz zum Heizen und Kühlen". Sie untersuchten ein Niedertemperaturnetz für das Areal des Universitätsspitals Zürich. Dazu evaluierten sie unter anderem die Energiebilanz verschiedener Netzvarianten und die Dimensionierung eines Erdspeichers.
Der nächste Gebäudetechnik-Kongress findet am 3. Oktober 2019 wiederum im KKL Luzern statt.