Offenes Forum von Imaging.ch

iPhone-Rezept für den Kameramarkt

Uhr | Aktualisiert

Am offenen Forum von Imaging.ch hat Unternehmensberater Heino Hilbig bedrohungsvolle Szenarien für den Kameramarkt gezeichnet. Er zeigte aber auch Lösungen für Industrie und Handel auf.

Die Situation im Kameramarkt scheint dramatisch, die Zahlen fallen ins Bodenlose. Vergangenes Jahr sind die weltweiten Geräte-Auslieferungen der Hersteller im Vergleich zum Vorjahr von 60 auf 39 Millionen Kameras zurückgegangen. Geht die Entwicklung so weiter, dürften die Auslieferungen in diesem Jahr im Vergleich zu vor vier Jahren um 68 Prozent abnehmen, schätzt die Camera & Imaging Products Association (CIPA).

"Kameramarkt stirbt so aus"

Vom immer stärker werdenden Schrumpfungsprozess sind alle Kameratypen betroffen, nicht nur Kompaktkameras. Hier dürfte der Rückgang mit 77 Prozent im Vergleich zu vor vier Jahren zwar besonders drastisch sein, aber auch die Auslieferungen von Spiegelreflexkameras nehmen laut CIPA innerhalb von zwei Jahren um ein Drittel ab und auch jene von Systemkameras um 12 Prozent. Mit Folgen für die gesamte Branche: Zahlreiche Fotohändler in Europa mussten in den letzten zwei Jahren ihren Laden zumachen, darunter auch viele Grosse. "Wenn es so weitergeht, stirbt der heutige Kameramarkt aus", warnte Heino Hilbig, Geschäftsführer der Beratungsagentur Mayflower Concepts, am heutigen offenen Forum von Imaging.ch.

Die 24 Forumsteilnehmer hörten Dozent und Buchautor Hilbig zu ("Marketing ist eine Wissenschaft"), als er über den Kameramarkt sprach. Er hatte im Mai in einem offenen Brief weltweit Foto-Verbände dazu aufgefordert, aktiv Einfluss zu nehmen, um das Negativwachstum zu stoppen. Hilbig verlangt, dass die Industrie offen und transparent zusammenarbeitet. Er fordert übergreifende Promotionskonzepte, emotionsgeladene Werbung für die Fotografie. Antwort erhielt er nur vom deutschen Photoindustrie-Verband, der auf die Innovationskraft der Branche vertraut.

Simplicity als Erfolgsformel

Das scheint schwierig, kann sich die Branche doch nicht auf einfachste Dinge wie ein einheitliches RAW-Bildformat oder auf einen Standard-Begriff für Spiegelreflexkameras einigen. Ganz zu schweigen von einheitlichen Bajonett-Systemen. "Die Fotoindustrie ist die einzige Branche, die selbst von Profis verlangt, sich für ein System zu entscheiden", monierte Hilbig und fragte: "Warum muss der Kunde die Branchenprobleme lösen?" Er fordert ein einfaches Ökosystem für alle, das habe es auch schon bei den Smartphones gegeben. Hilbig glaubt auch, dass in naher Zukunft nur noch ein App-Store für Smartphones existieren wird.

Die Fotoindustrie soll es also der Smartphonebranche nachmachen. Statt immer besserer Technik sei eine einfache Bedienung entscheidend. Erinnern doch Bedienmenüs von aktuellen Kameras an vergangene MS-Dos-Zeiten. Hochkomplexe Geräte wie Kameras müssten Spass machen, forderte er und nahm das iPhone zum Vorbild. Dieses sei nicht Schuld am dramatischen Rückgang im Kameramarkt. Denn obwohl seit 2008 der Smartphone-Boom einsetzte, erlebte der Kameramarkt erst zwei Jahre später seinen Höhepunkt. Aber mit der Zeit hätten die Kunden nun mal genug von Geräten, für die es eine 160-Seiten-Bedienungsanleitung braucht. Der Markt habe sich vom Angebots- zum Nachfragemarkt geändert. Der Kunde habe heute die Wahl und entscheide sich schliesslich für das Produkt, das am meisten Spass macht.

Emotionale Ansprache der Zielgruppe

Hilbig sieht auch keine Marktsättigung nahen. Die Leidenschaft fürs Fotografieren habe zugenommen, Leute wollten Dinge fotografieren, die sie emotional berührten. Deshalb rät er Fachhändlern, weg von der Technik zu gehen. Der Kunde müsse nicht wissen, was eine Blende ist, sondern wolle nur schöne Momente festhalten. Nur jeder achte Kunde habe eine Affinität zu Kameras und Zubehör. So rät er zum Umdenken punkto Ladengestaltung für ein besonderes Einkaufserlebnis. In einem Saturn in Deutschland habe er etwa sagenhafte 154 verschiedene Modelle an Kompaktkameras entdeckt. Eine erdrückende Auswahl. Sinnvoller sei die emotionale Ansprache der Zielgruppe. Wichtig seien Fragen wie: "Was habe ich für einen Kunden? Wie kommt er zu mir ins Ladengeschäft und mit welcher Motivation?" Statt vieler Kameramodelle im Schaufenster rät er etwa zu emotional geladenen Bildern für die passende Zielgruppe, gemäss der AIDA-Formel (Attention, Interest, Desire, Action).

Schafft es die Industrie, ihre Produkte zu vereinfachen und Freude zu vermitteln, wird auch der Handel weniger Probleme haben, glaubt Hilbig. Dann dürfte der Markt seiner Meinung nach auch wieder zulegen.

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