So schlimm sieht die Situation aus

Handys machen klassische Kameras überflüssig

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von Pascal Scherrer, Watson

Weil Smartphones immer bessere Fotos ermöglichen, geht die Nachfrage nach klassischen Kameras seit Jahren massiv zurück. Nun hat ein erster Traditionshersteller aufgegeben. Weitere könnten folgen.

(Source: Skitterphoto / Pixabay)
(Source: Skitterphoto / Pixabay)

2021 hätte für Olympus ein grosses Jahr werden können. Dann hätte sich die Vorstellung der ersten Kamera des Traditionsherstellers zum 85. Mal gejährt. Eine beachtliche Zahl, die man durchaus mit einem Jubiläum hätte feiern können. Dazu kommen wird es nicht. Stattdessen gibt Olympus das Kamerageschäft nach 84 Jahren auf.

Damit verabschiedet sich nach Kodak ein weiterer grosser Name aus dem Kamerageschäft. Doch während Kodak einfach den Wechsel zu Digitalkameras verschlafen hat, fällt Olympus einer Technologie zum Opfer, mit der alle Hersteller gleichermassen zu kämpfen haben: Smartphones.

Verkaufszahlen sind eingebrochen

Seit die schlauen Telefone das Licht der Welt erblickt haben, machen sie der Kamerabranche das Leben schwer. Spätestens ab 2010 gingen die Kameraabsätze beinahe Jahr für Jahr drastisch zurück. So schrumpften die Verkaufszahlen von weltweit 121,5 Millionen Stück im Jahr 2010 auf gerade einmal noch 15,2 Millionen im Jahr 2019. Von Verkaufszahlen wie Apple, die in drei Monaten zwischen 40 und 70 Millionen iPhones absetzen, können die Kamerahersteller nur träumen.

Wie disruptiv Smartphones für den Kameramarkt sind, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Noch 2006 herrschte in der Branche Aufbruchstimmung. Das digitale Fotozeitalter versprach hohe Profite und lockte so auch grosse Elektronikkonzerne an. Sony verleibte sich Minolta ein und startete seine bis heute erfolgreiche Alpha-Reihe. Auch Panasonic und Samsung versuchten sich, als Kamerahersteller zu etablieren. Inzwischen hat Samsung eingesehen, dass die Zukunft bei Smartphone-Kameras liegt und sich aus dem Markt zurückgezogen. Panasonic ist zwar noch aktiv, lässt seine Anhänger aber seit rund anderthalb Jahren auf eine neue Kamera warten.

Auch "Profikameras" sind nicht die Rettung

Inzwischen machen Smartphones dank mehreren Linsen und Software so gute Fotos, dass Laien sich damit zufriedengeben. Das führt so weit, dass den Kameraherstellern inzwischen auch der Einsteigermarkt für Systemkameras immer mehr wegbricht. Viele Hobbyfotografen, die sich früher noch eine günstige Einsteiger-DSLR gekauft haben, "um professionelle Ferienfotos zu schiessen", geben sich heutzutage mit einem guten Handy zufrieden.

Die Industrie versucht, mit diversen Innovationen dagegenzuhalten. Immer bessere spiegellose Systemkameras, neue Sensorgrössen, gewaltiger Zoom. Funktioniert hat das bisher nicht wirklich. Das musste auch Nikon einsehen. Mit ihrer neuen Z-Serie wollten sie 2019 wieder durchstarten und warben vollmundig mit "spiegellos neu definiert". Genützt hat es nicht viel und die Japaner mussten sich eingestehen, dass man die Nachfrage überschätzt hatte.

Ist Nikon das nächste Opfer?

Wie sehr Nikon den Markt anscheinend verkannt hat, zeigte sich Ende 2019. Das Unternehmen hatte einen historischen Umsatzrückgang von 18 Prozent hinnehmen müssen. Besonders bitter: Während andere Hersteller ihre Kamerasparte durch andere Geschäftsfelder querfinanzieren können, ist Nikon fast komplett vom Kamerageschäft abhängig.

Einer der wenigen Kamerahersteller, die sich mit Smartphones arrangieren konnten, ist Leica. Der deutsche Premiumhersteller hat es dank einer Partnerschaft mit Huawei geschafft, in der Smartphone-Welt Fuss zu fassen. Huawei ist inzwischen zum zweitgrössten Handy-Hersteller der Welt aufgestiegen. Diese Zusammenarbeit dürfte sicher einiges dazu beigetragen haben, dass Leica sich bisher trotz der Hochpreisstrategie einigermassen gut im Kamerageschäft halten konnte. Angeblich sollen Lizenzeinnahmen, die Leica durch Huawei erzielt, sogar einen beträchtlichen Teil des Umsatzes ausmachen.

Corona sorgt für erneuten Tiefschlag

Die Zukunft für den Kameramarkt sieht kaum besser aus. Bereits Anfang 2019 prognostizierte Canon, dass der Markt bis 2021 um weitere 50 Prozent schrumpfen werde. Da konnten die Kamerahersteller noch nicht ahnen, dass ein Jahr später mit Corona ein weiterer Tiefschlag auf sie zukommen würde. Erste Analysen zeigen, dass der Kameramarkt im März 2020 um rund 52 Prozent eingebrochen ist. In Asien lag das Auslieferungsvolumen gar nur bei etwa 40 Prozent gegenüber den Zahlen des Vorjahrs. Zwar hat auch der Smartphone-Markt fast 20 Prozent eingebüsst, die Handy-Verkäufe dürften aber wieder schneller anziehen als Kamerakäufe.

Da erscheint es nachvollziehbar, dass Olympus bei solch düsteren Zukunftsaussichten den Stecker zieht. Ob die Kameramarke wirklich vollkommen verschwinden wird, zeigt sich im September. Dann soll die Kamerasparte von Olympus an die Firma Japan Industrial (JIP) Partner verkauft werden. Das Unternehmen hatte 2014 schon die Notebooksparte von Sony und damit die Marke VAIO aufgekauft. Ob die Firma die Kameramarke Olympus weiterführen darf oder nur an den Patenten interessiert ist, weiss aktuell niemand. Überhaupt ist noch gar nichts in trockenen Tüchern, bevor die Kaufverträge am 30. September 2020 nicht unterzeichnet sind.

Olympus will sich in Zukunft vollständig auf sein Geschäft mit Medizintechnik konzentrieren, ein Markt, der auch in einem Jahrzehnt noch sehr profitabel sein dürfte.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Watson.

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