Hoffnung und Verdruss am Retail Forum 2019

Der Einzelhandel hat die Retail Basics verlernt

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Am 7. November hat das Retail Forum 2019 stattgefunden. Am Branchenanlass zeigten sich viele Redner trotz schwierigen Marktverhältnissen positiv gestimmt. Neue Ladenkonzepte wurden vorgestellt und viele Tipps für erfolgreiches Verkaufen geteilt. Darüber, was die Bevölkerungsentwicklung für den Handel bedeutet, waren sich die Referenten uneins.

Zum neunten Mal haben sich Vertreter aus dem Schweizer Handel am Retail Forum getroffen. "Es sind nicht nur die Veränderungen, die extrem sind, sondern auch das Tempo, mit dem diese Veränderungen passieren." Mit diesem Satz eröffnete Moderator Rainer Maria Salzgeber die Veranstaltung. Veränderung war denn auch das Thema der meisten Referate, die nicht nur, aber überwiegend einen optimistischen Ton anschlugen.

Trotz Gips am Bein war der erste Referent des Tages Michel Rahm, Senior Key Account Manager bei GfK Schweiz, positiv gestimmt. Rahm zeigte auf, was den Handel in den letzten Jahren beschäftigte und welche Trends aufs Geschäft zukommen. Insbesondere internationale Einflüsse hätten in letzter Zeit im Schweizer Handel stark zugenommen. Das gilt auch für Feiertage - Stichwort Single's Day. Was den in der Schweiz noch relativ neuen Schnäppchentag angeht, sieht Rahm Potenzial. Zwar könne man sich fragen, ob es so nahe am Black Friday und kurz vor Weihnachten wirklich noch einmal Aktionen brauche. "Die Möglichkeit, den Kunden mit Rabatten erneut abzuholen ist aber durchaus gegeben." Positiv für den Handel schätzte Rahm die Bevölkerungsentwicklung ein. Der Anteil an Silver Surfern - älteren, kaufkräftigen Personen, die sich auch online gut auskennen - wachse.

Veranstalter und SCC-CEO Marcel Stoffel (r.) heisst die Besucher mit Moderator Rainer Maria Salzgeber willkommen. (Source: Netzmedien)

Laut dem Senior Account Manager von GfK Switzerland gibt es drei Megatrends:

  • Speed: "Wenn der Handel Mittel, wie beispielsweise Lieferungen per Drohne, sinnvoll einsetzt, führt es bestimmt zu Gewinn."

  • KI: "Die junge Generation geht ganz organisch mit neuen Technologien wie Spracherkennung um."

  • Nachhaltigkeit: "Wir haben nur eine Erde und wir haben die Aufgabe, ihr Sorge zu tragen." Tue der Handel das nicht, dann sei der Shitstorm vorprogrammiert.

Dem stationären Handel riet Rahm ausserdem zu Konzepten, die Virtual und Augmented Reality (VR und AR) beinhalten. 25 Prozent der jüngeren Konsumenten würden häufiger ein Geschäft besuchen, wenn diese Technologien vorhanden wären. "Es ist dabei wirklich wichtig, dem Kunden durch AR und VR einen Zusatznutzen zu bieten."

"Es ist gar nicht so einfach, sein Geld auszugeben"

Darum, den Kunden ein besseres Einkaufserlebnis zu bieten, ging es auch Uri Schtalheim, CEO von ASE (Analysis Simulation Engineering). "Wenn ich mit meiner Tochter einen Shoppingtag einlege, macht man es uns gar nicht so einfach, unser Geld auszugeben", sagte er. Grund dafür seien zu lange Wartezeiten in den Geschäften. Laut Schtalheim verlassen 80 Prozent der Leute, die ein Geschäft betreten, dieses wieder ohne etwas zu kaufen - eben weil die Schlangen an Kassen und Umkleidekabinen zu lange sind oder die Beratung zu lange auf sich warten lässt. Der stationäre Handel könne hier vom Onlinehandel lernen. Denn online werde ständig ausprobiert und angepasst. Konkret riet Schtalheim Händlern dazu, Besucherprognosen zu erstellen und die Mitarbeiter auf deren Basis einzuplanen. "Zu Spitzenzeiten mehr, sonst weniger."

Was Schweizer Konsumenten innerhalb von einer Minute im Onlinehandel kaufen und wie viel sie dafür durchschnittlich ausgeben, können Sie hier nachlesen.

Moderator Rainer Maria Salzgeber mit Joanna Warner von Dufry und Stefan Gross, Chief Commercial Officer beim Flughafen Zürich (v.l., Source: Netzmedien)

Weiter mit dem Thema Ladenkonzepte machte Stefan Gross, Chief Commercial Officer beim Flughafen Zürich. Er zeigte zum Anfang einen Pop-up-Store von Louis Vuitton, in dem man lediglich Postkarten mit dem Markenlogo verschicken konnte. "Die Leute stehen dort an, obwohl sie nichts kaufen können. Das muss man erst einmal schaffen", sagte Gross. Er nannte einige Punkte, die der Flughafen Zürich bei seinen eigenen Ladenkonzepten beachtet:

  • Wo immer möglich Atmosphäre schaffen

  • Swissness: Schweizer Produkte von Schweizer Herstellern

  • Experience: nicht nur verkaufen sondern ein Erlebnis bieten

  • Pop-up-Stores

  • Convenience

  • Lokale Anbieter

  • Einfache digitale User Experience

Neue Konzepte will der Flughafen vor allem beim Neubau The Circle umsetzen, der im September 2020 eröffnen soll. Doch das Gebäude ist nicht in erster Linie ein Shoppingcenter. 10 Prozent der Gesamtfläche stehen für Shops zur Verfügung. "Aber diese Fläche wollen wir für neue Ideen nutzen", sagte Gross. Um das Konzept für The Circle genauer aufzuzeigen, trat Joanna Warner vom Reisedetailhandelsunternehmen Dufry auf die Bühne. Die Herausforderung liege darin, dass The Circle nicht direkt dort liege, wo die Reisenden sowieso entlanggingen, wenn sie ankämen oder abreisten. Man müsse den Konsumenten also etwas bieten, damit sie sich dafür entschieden, die Shops zu besuchen.

Der Plan: "The Circle soll ein Marktplatz werden, an dem die Leute nicht nur kaufen, sondern etwas erleben können." Abgesehen von täglichen und wöchentlichen Events, wie Lesungen und unterschiedlichen Kursen, sei auch das Ladenkonzept so ausgelegt, dass sich die Besucher wohl und ganz wie daheim fühlten. Anstatt viele Produkte aus der gleichen Kategorie auszustellen setze man zusätzlich auf Usage-Based-Ladenkonzepte. Das heisst, was zu Hause zusammengehört, wird auch zusammen ausgestellt. So stehen im Laden nicht 10 Pfannen in einem Regal, sondern es werden zum Beispiel eine oder zwei verschiedene Pfannen gemeinsam mit einem Messer, einem Schneidbrett, einem Rezeptbuch und einer Flasche Olivenöl zu einer Produktwelt arrangiert.

Franz Julen, Verwaltungsratspräsident bei Valora, spricht mit Salzgeber über seine Zeit als Manager und Betreuer seines Bruders, Skirennfahrer Max Julen. (Source: Netzmedien)

Händler haben die Retail Basics verlernt

Der Grund dafür, weshalb der stationäre Einzelhandel in den vergangenen Jahren stark gelitten hat, liegt laut Franz Julen, Verwaltungsratspräsident bei Valora, in der Digitalisierung. Denn vor lauter Digitalisierungsdruck, habe der Einzelhandel die Retail Basics vernachlässigt oder gar verlernt. Nicht nur die Branche, auch die Kunden hätten sich stark verändert. "Der Konsument weiss heute alles, weil er sich online über Produkte informiert", sagte Julen. "Ausserdem sind die Konsumenten illoyaler denn je." Folgende Punkte sollte sich der stationäre Einzelhandel laut Julen wieder in Erinnerung rufen:

  • Ein Einzelhändler muss den Markt und seine Konsumenten kennen und verstehen und seine Strategie und das Sortiment entsprechend ausrichten.

  • Weniger ist mehr: Es ist sinnvoller, weniger aber dafür die richtigen Produkte im Laden zu haben.

  • Das gilt auch für die Positionierung: "Es gibt im Einzelhandel nur High-End oder Discount. Alles was dazwischen liegt, wird sich nicht bewähren."

  • Es gilt, eine starke Marke aufzubauen und dabei die Werte, für die diese steht, nicht zu vergessen.

Martin Neff, Chefökonom von Raiffeisen (Source: Netzmedien)

"Wenn Sie sich an diese Punkte halten, dann haben Sie Frequenz, und Frequenz ist das A und O im Einzelhandel", war Julen überzeugt. Als weiteren wichtigen Punkt sprach Julen die Mitarbeiter an. "Sie müssen nur zwei Dinge können: Mitarbeiter müssen Leidenschaft und Empathie haben. Alles andere können sie lernen." Wer das verstanden habe, der könne damit beginnen, agil und innovativ zu sein und Neues zu testen.

Nach der Mittagspause und einer humorvollen Betrachtung des Begriffs Change Management von "Überlebensberater" Johannes Warth, war der Chefökonom von Raiffeisen, Martin Neff, an der Reihe. "Ich darf dieses Jahr erst am Nachmittag auftreten, damit ihnen die Laune erst spät am Tag verdorben wird", sagte Neff. Sein Referat bot einen starken Gegensatz zu den optimistischen Vorträgen am Morgen. "Sie bewegen sich in einem Markt, der schrumpft und der auch weiterhin schrumpfen wird." Die von Michel Rahm von GfK am Morgen positiv gewertete immer älter werdende Bevölkerung, sieht Neff als Problem. Die Konsumquoten würde mit dem Alter nämlich sinken. Auch der niedrige Eurokurs lasse nichts Gutes für den hiesigen Handel erwarten.

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