Marktreport

Das schiefe Bild im Fotomarkt

Uhr | Aktualisiert

Im Schweizer Imaging-Markt sind die Zahlen seit neun Jahren rückläufig – obwohl die Fotografie einen wahren Boom erlebt. Noch nie wurde so viel fotografiert. Experten erklären diesen Widerspruch.

Zum Geburtstag viel Glück: Die Imaging-­Branche feiert das Jubiläumsjahr zum 175. Geburtstag der Fotografie. Doch eigentlich  besteht kein Grund zur Freude, denn die Marktzahlen sinken kontinuierlich. Deshalb dürfte die Branche die Glückwünsche umso nötiger haben.

Im vergangenen Jahr sanken die weltweiten Geräteauslieferungen der Hersteller im Vergleich zum Vorjahr von 60 Millionen auf 39 Millionen Stück. Geht die negative Entwicklung im selben Ausmass weiter, dürften die Auslieferungen in diesem Jahr im Vergleich zu vor vier Jahren um 68 Prozent abnehmen, schätzt der Interessenverband der japa­nischen Fotoindustrie, Camera & Imaging Products Association (CIPA).

Schweizer Markt blutet seit 2005

Die Schweiz wird vom Rückgang nicht verschont. Gemäss Berechnungen von GfK Switzerland erlebte der Schweizer Imaging-­Markt seinen Höhepunkt im Jahr 2005, als mit 932'000 verkauften Geräten ein Gesamt­umsatz von 527 Millionen Franken erzielt wurde. Seither gingen die Umsätze kontinuierlich zurück, mit einer einzigen Ausnahme im Jahre 2007. Vergangenes Jahr gingen die Umsätze im Schweizer Markt sogar im tiefen zweistelligen Bereich zurück, wobei der Markt 715'000 Geräte im Wert von 298 Millionen Franken verkaufte.

Dieses und das nächste Jahr sollen noch schwieriger werden. GfK Switzerland prognostiziert Umsatzrückgänge von 16 bis 17 Prozent bei verkauften Stückzahlen von 571'000 im laufenden respektive 490'000 im nächsten Jahr. Dann wäre der Schweizer Markt vom Umsatz her noch 207 Millionen Franken wert, also weniger als die Hälfte im Vergleich zum Umsatzwert von 2005.

Diese Entwicklung drückt nicht nur die Verkaufszahlen, sondern auch die Stimmung im Schweizer Markt. Wie der Branchen­verband Swico bei der Umfrage für seinen ICT-Index registrierte, erwartet ein Grossteil der Markt­akteure aus dem Segment Imaging, Printing, Finishing (IPF) für das aktuelle dritte Quartal eine tiefere Auftragslage und eine schlechtere Geschäftsentwicklung. Noch im Vorquartal hätten sich die Markt­akteure einiges positiver gezeigt.

Fast alle Segmente betroffen

Vom immer stärker werdenden Schrumpfungsprozess sind alle Kameratypen betroffen, nicht nur die mit Smartphones in Konkurrenz stehenden Kompaktkameras. Hier dürfte der weltweite Rückgang mit 77 Prozent im Vergleich zu vor vier Jahren zwar besonders drastisch sein, aber auch die Auslieferungen von Spiegelreflexkameras nahmen laut Interessenverband CIPA innerhalb von zwei Jahren um ein Drittel ab und auch die Auslieferungen der Systemkameras reduzierten sich um 12 Prozent.

Dies ist auch im Schweizer Markt der Fall. Gemäss GfK Switzerland sinken die Zahlen bei fast allen Gerätekategorien, aber natürlich ist auch hierzulande insbesondere das Segment der Kompaktkameras betroffen, das den grössten Anteil am Gesamtmarkt ausmacht. Vergangenes Jahr wurden noch 108 Millionen Franken mit 411'000 Kompakten umgesetzt, 2005 war es mit 321 Millionen Franken für 742'000 Geräte noch fast dreimal so viel.

Der Rückgang im Segment der Spiegelreflexkameras verlief relativ stabil im Vergleich zum Rückgang bei den Kompakten. Verglichen mit den 69'000 verkauften Geräten für 118 Millionen Franken  im Jahr 2005 erscheinen die im letzten Jahr verkauften 126 000 Geräte im Wert von 115 Millionen Franken als ansprechend.

Drastisch ist hingegen der Rückgang der Camcorder, deren Umsatzwert von 85 Millionen Franken im Jahr 2005 auf 19 Millionen Franken im vergangenen Jahr purzelte. Ähnlich ergeht es den digitalen Bilderrahmen, die vergangenes Jahr nur noch einen Umsatz von rund 2 Millionen Franken ausmachten.

Einzig die beiden relativ neuen Kategorien der Systemkameras und der Action-Cams widersetzen sich dem Trend mit geringem positivem Wachstum. Diese machen aber mit einem letztjährigen Umsatz von 32 Millionen Franken für 41'000 Systemkameras respektive 29 Millionen Franken für 61'000 Action-­Cams nur einen kleinen Teil des ­Gesamtmarkts aus und können dementsprechend auch das Gesamtminus  nicht korrigieren.

Lust an der Fotografie

Im Widerspruch zu dieser negativen Entwicklung im Imaging-Markt steht die Einschätzung vieler Experten, dass die Leidenschaft am Fotografieren steigt. Zu beobachten ist ein regelrechter Fotoboom, nie wurden mehr Bilder geschossen als heute.

Luca Giuriato von GfK Switzerland erklärt beispielsweise Selfies, ein Art Selbstporträt, bei dem der Porträtierte die Kamera oder das Smartphone in der eigenen Hand hält, zum grossen Trend. Zu sehen sind die Selbstporträts auf sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder Instagram, auf die täglich eine Unmenge an neuen Bildern hochgeladen wird.

Smartphone nicht Schuld

Wie lässt sich also der kontinuierliche Rückgang im Imaging-Markt erklären? Ist es das Smartphone, das im Markt abräumt und dessen Umsätze wegfrisst? "Nein", sagt Luca ­Giuriato. Der GfK-Analyst bestätigt zwar, dass Smartphones den Kompaktkameras zu schaffen machen. Aber Smartphones würden sicher nicht die Umsätze im gesamten Kameramarkt wegfressen. Denn obwohl Smartphones mittlerweile leistungsfähige integrierte Kameras bieten, kommen sie doch nicht an die Qualität einer professionellen Kamera heran.

Das Problem dabei: Die wenigsten Konsumenten brauchen eine hochwertige Kamera, für die meisten tut's die Smartphone-Kamera. Denn die Bilder werden meist nicht mehr ausgedruckt, sondern kommen eben ins Internet auf Facebook und Co., wo die Bilder mit Familie und Freunden geteilt werden. Den meisten Nutzern genügt es dabei, wenn man erkennt, was drauf ist. Und bei Party­föteli gilt ohnehin: je verschwommener das Bild, desto besser war die Party.

Der deutsche Photoindustrie-Verband nimmt diesen Boom in der Smartphone-­Fotografie aber auch als Chance wahr, insbesondere auch junge Menschen an die "richtige" Fotografie heranzuführen. Denn, so die These, je mehr man fotografiert, desto mehr steigen auch die Ansprüche an die ­Fotos, die man knipst.

Innovationen fehlen

GfK-Switzerland-Analyst Giuriato nennt als weiteren Grund für den massiven Rückgang im Imaging-Markt eine gewisse Sättigung. Schliesslich würden beispielsweise Spiegelreflexkameras nicht alle Jahre wieder ausgetauscht. Zudem habe es vor einiger Zeit einen Hype ums Vollformat gegeben, der nun wieder abflache und dementsprechend die Zahlen in die Tiefe drücke.

Solche Innovationen vermisst Analyst Giuriato derzeit, technische Trends seien keine in Aussicht und Features wie GPS und Wi-Fi sind bereits standardmässig in neueren Kameramodellen integriert. Giuriato erkennt lediglich bei der Bildauflösung eine technologische Entwicklung. Der Analyst verweist aber auf die Photokina, die vom 16. bis 21. September in Köln über die Bühne geht. Er hofft, dass dort Innovationen enthüllt werden, die dem Markt zu ­neuem Schwung verhelfen.

Lösungen für Hersteller und Händler

Unternehmensberater Heino Hilbig sieht grundlegende Probleme in der Branche. Wie der Dozent und Buchautor am offenen Forum von Imaging.ch forderte, muss die Branche sich endlich zusammenfinden. Sie solle den Spass an der Fotografie fördern, indem sie sich für gemeinsame Standards einsetze, beispielsweise für ein einheitliches RAW-­Bild­format oder für ein einheitliches Bajonett-System. Zudem müssten sich die Hersteller bei der Bedienung statt an "MS-­DOS-Systemen" an Smartphones orientieren, um die Freude an der Fotografie zu wecken.

Die Hersteller kennen also ihre Aufgaben. Doch was soll der Fachhandel in diesen schwierigen Zeiten tun? Hilbig rät dazu, dem Kunden ein Einkaufserlebnis zu bieten. Der Kunde soll nicht mit Technik gelangweilt, sondern emotional berührt werden.

GfK-Switzerland-Analyst Giuriato rät dem Fachhandel, sein Sortiment mit verwandten Produkten sinnvoll auszuweiten und sich so neue Kompetenzen aufzubauen. Auch empfiehlt er das Anbieten von Dienstleistungen.

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