Twitter-Übernahme durch Elon Musk

Warum der reichste Mensch der Welt ein kaum profitables soziales Netzwerk kauft

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von Oliver Wietlisbach, Watson.ch

Elon Musk begründet den angestrebten Twitter-Kauf mit der angeblich gefährdeten Meinungsfreiheit. Tatsächlich dürfte es dem reichsten Mann der Welt um ganz anderes gehen.

(Source: Daniel Oberhaus / CC 4.0 / commons.wikimedia.org)
(Source: Daniel Oberhaus / CC 4.0 / commons.wikimedia.org)

Was will der Chef eines Elektroauto-Herstellers, einer Weltraum- und Tunnelbaufirma sowie eines Entwicklers von Gehirnimplantaten mit Twitter?

Es gehe nicht ums Geld, sondern darum, die Redefreiheit auf der Plattform zu stärken, kündigte Elon Musk an. Nach Lage der Dinge erkauft er sich die alleinige Kontrolle über das einflussreiche soziale Netzwerk und inszeniert sich geschickt als Retter der Meinungsfreiheit und Demokratie. Dafür erhält er Lob von Fox News, Trump-Anhängern und Corona-Skeptikern – zu letzteren zählt auch Musk.

Dass es Musk beim 44 Milliarden schweren Twitter-Deal primär um die Redefreiheit geht, nehmen ihm – ausserhalb seiner treuen Anhängerschaft – die allerwenigsten ab. Tatsächlich gibt es für ihn noch ganz andere Motive, sich Twitter unter den Nagel zu reissen.

These 1: Macht und Kontrolle

Tech-Milliardäre neigen dazu, sich Macht erkaufen zu wollen, und mit dem eingefädelten Twitter-Deal erweitert Musk zweifellos seinen Einfluss. Er könnte die Plattform zur Durchsetzung seiner Interessen und zur Manipulation der öffentlichen Meinung missbrauchen.

Insbesondere Musk liebt es, den öffentlichen Diskurs zu beeinflussen. Seine Unternehmen dienen nicht einzig dem Zweck, Geld zu verdienen, sie sind Plattformen für das, was ihm am Herzen liegt. Und seine Hassliebe zu Twitter, der mit Abstand wichtigsten Kommunikationsplattform für Journalisten und Entscheidungsträgerinnen, ist seit Jahren augenfällig.

Twitter ist für Musk das ideale Sprachrohr, da Politik und Medien jeden seiner Tweets registrieren. Kaum ein anderer CEO hat ein ähnliches Sendungsbewusstsein und mit über 86 Millionen Followern gelingt es ihm regelmässig, Themen zu setzen und die politische Agenda (Klimapolitik, Raumfahrt etc.) in seinem Sinne mitzugestalten.

Mit seinen Ausfälligkeiten und gezielten Provokationen läuft er aber auch Gefahr, von Twitter gesperrt zu werden, wenn er beispielsweise den kanadischen Regierungschef Justin Trudeau mit Hitler vergleicht. Der Verlust seines Accounts würde ihn ähnlich hart treffen wie bereits Donald Trump. Als künftiger Alleinherrscher über Twitter ist er diese Sorge los.

"Was Elon Musk tut, ist das, was Plutokraten schon immer getan haben: Sie nutzen Geld, um Macht zu kaufen, und Macht, um ihr Geld zu schützen. Sie übernehmen die Kontrolle über die Medien, um den Diskurs zu manipulieren und sich gegen Ressentiments abzusichern, und sie brüsten sich mit der Lösung für genau das Problem, das sie selbst sind", meint Anand Giridharadas, Journalist und Polit-Experte auf Twitter.

Ob es so weit kommt, wird sich zeigen. Sicher ist, Musk will Twitter von der Börse nehmen. Damit wäre der Konzern weniger reguliert, was eines seiner Hauptziele sein dürfte.

These 2: Daten und Geld

Tech-Milliardäre neigen dazu, ihr Portfolio an Unternehmen laufend zu erweitern und für Musk ist der finanziell mässig erfolgreiche Twitter-Konzern eine weitere Übernahme, die es gilt, auf Vordermann zu bringen. Tesla ist auf Kurs, Tausendsassa Musk braucht eine neue Herausforderung.

Musk wurde durch Firmengründungen und Übernahmen steinreich, wobei dies bei einem geschätzten Vermögen von rund 255 Milliarden Franken einer Untertreibung gleichkommt.

Als Motiv für den Twitter-Kauf nennt er nun die Stärkung der Redefreiheit, seine Kritiker unterstellen ihm hingegen, sich Macht und Kontrolle zu erkaufen. Beides kann zutreffen, in erster Linie ist Musk indes ein brillanter Kapitalist mit dem Riecher für künftige Geschäftsmöglichkeiten. Anders als Facebook ist Twitter bislang aber wirtschaftlich kein Überflieger und dürfte auch unter Musk nicht über Nacht zu einer Gelddruckmaschine mutieren. Das Problem: Twitter wächst seit vielen Jahren nur gemächlich, denn anders als bei Facebook oder Instagram sind die Einstiegshürden weit höher.

Wenn Musk behauptet, es gehe ihm bei Twitter nicht ums Geld, sagt er vordergründig vielleicht sogar die Wahrheit. Indirekt dürfte er aber doch finanziell vom Deal profitieren.

Dies aus mehreren Gründen:

Musk nutzt Twitter wie kein zweiter, um den Hype um seine Unternehmen zu befeuern. Mit der Übernahme könnte er Twitter weiter auf seine Interessen zuschneiden, sprich noch effizienter als Marketing-Werkzeug in eigener Sache nutzen.

Noch wichtiger ist mittelfristig vielleicht der Datenberg, den Twitter mit seinen gut 350 Millionen Usern generiert. Anders als Amazon, Apple, Google oder Facebook fehlen dem Musk-Imperium bislang diese umfassenden Konsumenteninformationen.

Twitter hat es nie verstanden, seinen Datenschatz in beträchtliche Gewinne umzumünzen. Auch mit Musk als Eigentümer dürfte das Anzeigengeschäft nicht plötzlich brummen, angedacht ist vielmehr ein Abo-Modell. Musk könnte die Daten der Twitter-User aber indirekt nutzen, um die Produkte seiner anderen Unternehmen gezielt zu bewerben. Auch in diesem Szenario würde Twitter zu Musks Marketing-Werkzeug.

Das dies nicht ganz abwegig ist, zeigt Microsoft. Der Windows-Konzern hat 2016 das Karriere-Netzwerk LinkedIn gekauft und nutzt es inzwischen unter anderem als Marketing-Kanal für seine eigenen Cloud- und Office-Produkte.

So oder so: Selbst wenn Twitter direkt keine Milliardengewinne abwerfen sollte, Musk dürfte einen Weg finden, die Userdaten für sich zu nutzen. Dies scheint auch notwendig, da für den Twitter-Deal laut Reuters jährlich rund eine Milliarde Dollar an Zinsen und Gebühren fällig werden. Denn selbst der reichste Mann der Welt kann oder will den Kaufpreis von 44 Milliarden Dollar nicht vollständig aus der eigenen Kasse zahlen. 25.5 Milliarden Dollar sind Kredite.

These 3: Meinungsfreiheit

Tech-Milliardäre neigen dazu, ihre eigenen Regeln aufzustellen. Zentrale Konzepte der Demokratie wie die Meinungsfreiheit müssen in einer Gesellschaft aber laufend neu ausgehandelt und diskutiert werden. Was also versteht Musk darunter?

"Mit 'Meinungsfreiheit' meine ich einfach das, was dem Gesetz entspricht", schreibt Musk. Er vertritt somit eine libertäre Vision eines möglichst unkontrollierten Internets. Was nicht explizit strafbar ist, soll auf Twitter geduldet sein. Das heisst: Wenn in einem Land Gewaltaufrufe, das Leugnen des Holocaust, Desinformation zur Corona-Impfung oder Kriegspropaganda nicht gesetzlich verboten sind, soll Twitter auch nichts dagegen unternehmen.

Sehr ähnlich argumentiert seit vielen Jahren Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Eine sehr bequeme Argumentation, da sich die Online-Plattformen so aus der Verantwortung schleichen wollen für gesellschaftliche Schäden, die uneingeschränkte Meinungsfreiheit inklusive Fake-News, Verschwörungserzählungen und Hassrede unweigerlich nach sich ziehen – Telegram lässt grüssen. Ohne Spielregeln und Moderation würde auch Twitter zu einer Kloake des Internets, wie seine Klone "Parler" oder "Truth Social" von Ex-US-Präsident Donald Trump beweisen.

Als Ultra-Liberaler sieht Musk Twitter als Marktplatz an, auf dem jeder seine Meinung sagen dürfe. Klingt verlockend, ist aber in einer Welt, in der sich Menschen oftmals nicht vernünftig und rational verhalten, ein Hirngespinst. Es dürfte Musk also vor allem um seine eigene Meinungsfreiheit gehen, inklusive des Rechts, ungesühnt Andersdenkende zu beleidigen und diskreditieren.

Bürgerrechtsorganisation und Datenschützer kritisieren Musks Definition von Redefreiheit denn auch: "Redefreiheit ist wunderbar, Hassrede ist inakzeptabel", schreibt die US-Menschenrechtsorganisation NAACP. Musks Erklärung liesse befürchten, "dass die Plattform bald von rechten Trollen überschwemmt wird, die die Grenzen dieser 'freien Meinungsäusserung' aufs Äusserste ausreizen", bilanziert das Datenschutz-Portal "netzpolitik.org". Musk kontert solche Kritik mit einem perfiden Trick aus der Mottenkiste der Rhetorik und unterstellt seinen Kritikern, pauschal gegen Meinungsfreiheit zu sein.

Musk bezeichnet sich selbst als "radikalen Verfechter der Redefreiheit". Er scheint auch mit 50 Jahren nicht verstehen zu wollen, dass ihre Grenze dort liegt, wo sie anderen unmittelbar schadet.

"Absolute freie Rede ist ein Kartenhaus, das philosophisch und praktisch in Windeseile zusammenfällt. Dafür plädieren kann eigentlich nur, wer am längeren Machthebel sitzt – wer zu den Starken gehört, hat kein Problem damit, dass die Schwachen unter die Räder komme", erklärt Marko Kovic, Sozialwissenschaftler und Experte für Verschwörungserzählungen, auf Twitter.

Dieser Artikel ist zuerst bei watsonch erschienen.

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