Interview mit Reinhard Riedl

Was Händler bei der Digitalisierung beachten sollten

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Wie kann der Schweizer Handel digitale Skills aufbauen? Was gilt es bei der Entwicklung einer Datenstrategie zu beachten? Die Redaktion hat Reinhard Riedl, wissenschaftlicher Leiter des Fachbereichs Wirtschaft an der Berner Fachhochschule, zur Digitalisierung befragt.

(Source: info@bettinadiel.de)

Reinhard Riedl ist Professor und wissenschaftlicher Leiter des Fachbereichs Wirtschaft an der Berner Fachhochschule. An der Konferenz "Regulatory Framework for Operating E-Commerce in Switzerland" hat er über die Zukunft des E-Commerce gesprochen und gefordert, dass sich jedes Unternehmen digitale Fähigkeiten aneignen und ausbauen soll. Die Redaktion fragte nach, was dies für den Schweizer Handel bedeutet.

Welche Bedeutung wird der stationäre Handel ohne Onlinestrategie in den nächsten zehn Jahren haben?

Seine Bedeutung wird stetig abnehmen. In Zukunft haben vor allem jene im stationären Handel einen Chance, die ein einzigartiges Einkaufserlebnis bieten: durch persönlichen Service, durch das Schaffen einer besonders authentischen Atmosphäre, durch die Verbindung von Produktion und Verkauf oder durch ein ausgeprägtes Massschneidern der Produkte basierend auf direkter Kundeninteraktion. Auch lokal im Quartier oder Dorf verankerter Handel wird teilweise Bestand haben. In der grossen Mehrzahl der Fälle wird aber der stationäre Handel nur in Kombination mit einer Onlinestrategie überleben.

 

Welchen Rat geben Sie Schweizer Händlern bei der Digitalisierung des Unternehmens? 

Ich empfehle ein sehr konventionelles Vorgehen: bünzlig aber schnell und engagiert, keinesfalls zaghaft! Zuerst sollte man die eigenen Handlungsoptionen identifizieren, sowie die damit verbundenen Chancen, Risiken, Herausforderungen und Kosten. Es gibt nämlich sehr viel mehr Möglichkeiten, als es auf den ersten Blick scheint. Dann kann man für jede dieser Optionen Good-Practice-Beispiele suchen und studieren. In der Folge zeigt sich meist ziemlich rasch, was die zwei, drei attraktivsten Optionen sind. Die sollte man experimentell ausprobieren. Danach muss man die für die konsequente operative Umsetzung notwendigen Digital Skills im Unternehmen aufbauen.

 

Wie können Schweizer Händler digitale Skills aufbauen und flexibel bleiben?

Der einfachste Weg geht über die Rekrutierung von Mitarbeitenden mit diesen Skills und durch die Etablierung einer intensiven Zusammenarbeit zwischen jenen, die das traditionelle Geschäft gut verstehen, und jenen die Fachspezialisten für E-Commerce sind. Durch so eine Zusammenarbeit kommt es zum Wissensaustausch zwischen beiden Gruppen. Die Alternative ist die Weiterbildung des existierenden Teams. Wichtig ist stets, dass Skills von Beginn an durch Tun aufgebaut werden. Lesen und Nachdenken ist zu wenig. Wichtig ist auch, dass regelmässig intern die Erfahrung reflektiert wird, denn auch Tun allein ist zu wenig. Die Experimente sollten zudem mit dem Bewusstsein durchgeführt werden, dass es ein Lernen braucht. Darüber hinaus empfiehlt es sich, regelmässig die strategischen Optionen im Führungsteam zu besprechen. Was heute ein unsinniges Risiko darstellt, kann morgen risikolos und vielleicht sogar schon überlebensnotwendig sein. Der Markt ist im stetigen Wandel.

Wie erreichen Schweizer Onlinehändler eine gute Customer Experience?

Hier gibt es Pflicht und Kür. Die Pflicht besteht darin, den notwendigen Aufwand und die Hindernisse für den Kunden klein zu halten, all inclusive vom Suchen bis zum geliefert Bekommen und zurückschicken Können. Die Kür ist, ein eigentliches Kauferlebnis zu schaffen. Dafür sind die Möglichkeiten schier zahllos. Es gibt aber einige Hauptstrategien. Man kann die traditionellen Offlineberatungsdienstleistungen online anbieten, als Service oder als Chat-Hilfe, beispielsweise beim Kleiderkauf. Man kann es Kunden ermöglichen, ihre Produkte zusammenzustellen oder virtuell auszuprobieren, beispielsweise bei Möbeln. Man kann E-Commerce in völlig andere Angebote einbetten die einen Flow generieren, beispielsweise Unterhaltungs- und Informationsangebote. Man kann umgekehrt den Onlineverkauf mit anderen Angeboten ergänzen, beispielsweise Spiele. Es ist auch möglich, über Spiele Sonderangebote zu lancieren. Man kann ein Community-Feeling schaffen, wozu durchaus auch die klassische Empfehlung gehört, was andere Kunden interessierte. Man kann aber auch gerade online eine sehr hohe Transparenz bieten, woher das Produkt kommt, wie nachhaltig es erzeugt wurde. Wichtig ist, dass die Customer-Experience zum Produkt und zur Käufercommunity passt.

 

Worauf gilt es bei der Entwicklung einer Datenstrategie zu achten?

Es kommt darauf an, die richtigen Fragen zu stellen und die Datenbewirtschaftung als Teil des Kerngeschäfts anzusehen. Die entscheidende Frage ist: Was wollen wir tun? Sie führt uns direkt zur Kernfrage aus Datenperspektive: Was wollen wir wissen? Wenn beide Fragen beantwortet sind, dann ist klar, welche Daten benötigt werden und wir kommen zu Implementierungsfragen: Wie hoch muss die Datenqualität sein? Woher bekommen wir die Daten? Wie gehen wir mit dem Wertverlust der Daten um? Konkret: Wie gestalten wir den Lebenszyklus der Daten? Die Datenstrategie gibt die Antworten darauf, wobei sie explizit auf "Time and Scale" eingehen muss: Sie muss die zukünftigen Veränderungen der externen Marktbedingungen und die Entwicklung des eigenen Unternehmens berücksichtigen. Wichtig ist, dass aus dem Geschäft heraus Daten produziert und diese Daten für die stetige Anpassung des Geschäfts genutzt werden. Dieser Kreislauf muss funktionieren.

 

Was können Schweizer Händler vom Ausland lernen? 

Vom Ausland per se gar nicht so viel. Vielleicht, mehr Mut beim Einsatz künstlicher Intelligenz oder auch wie Online- und Offlinestrategie geschickt kombiniert werden können. Und wie man den Kampf um den Kunden daten- und algorithmenbasiert erfolgreich führt. Denn jeder Kunde, jede Kundin wird zum Markt. Und diesen Markt dominiert, wer am meisten über den Kunden weiss. Aber was auch immer man lernen will, man sollte es von ausgezeichneten Einzelbeispielen kernen, nicht von der kulturellen Praxis hier oder dort. Und man sollte dort, wo es gute Werkzeuge gibt, diese nutzen, statt alles selber zu erfinden.

 

Wie können sich Schweizer Händler gegen Amazon wappnen?

Zum einen ist Amazon gerade für Einsteiger eine interessante Option, die man als Händler prüfen sollte. Zum anderen definiert Amazon seine eigenen Regeln, die manchmal auch sehr unvorteilhaft sein können für die Händler, bisweilen auch inkompatibel mit unserem Fairnessverständnis. Dazu kommt, dass nicht alle Hersteller es akzeptieren, dass ihre Produkte über Amazon gehandelt werden. Und nicht zuletzt ist für die grossen Plattformbetreiber Amazon ein gefährlicher Konkurrent. Amazon kann strategisch handeln, wo andere jeden Franken umdrehen müssen. Darum gilt für Händler nur eine Maxime: schnell und nachhaltig vorwärts machen und Amazon im Blickwinkel behalten! Ganz anders schaut die Situation für die Politik aus. Sie muss die Standortattraktivität der Schweiz, den Arbeitsmarkt, die Steuereinnahmen und die Ökologie im Auge behalten. Wenn die Rahmenbedingungen dazu führen, dass Ware exportiert wird, um sie zu importieren, spätestens dann läuft etwas falsch.

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