CEO-Interview

"Wir haben unsere ganze ­Strategie auf den Kopf gestellt"

Uhr | Aktualisiert
von Fabian Pöschl

Gigaset hat mit Veränderungen auf den Rückgang im DECT-Markt ­reagiert. Was die Umbruchphase für Gigaset Schweiz bedeutet, erklärt Roberto ­Persici, CEO, Gigaset Communications Schweiz.

Roberto Persici, CEO, Gigaset Communications Schweiz. (Quelle: Netzmedien)
Roberto Persici, CEO, Gigaset Communications Schweiz. (Quelle: Netzmedien)

Steigt Gigaset bald aus dem rückläufigen DECT-Telefon-­Markt aus?

Roberto ­Persici: Eindeutig nein. Wir tätigen viele Investitionen im DECT-Bereich. Wir entwickeln etwa Designer­telefone wie unser Modell Dune sowie unsere neuen Go-­Modelle. Ende August werden wir ein weiteres solches Designergerät launchen. Wir führen auch als einer der einzigen Anbieter ein Telefon für ältere Leute. Und wir bringen den Nachfolger des sehr erfolgreichen SL400 auf den Markt, der gerade für den Fachhandel interessant ist. Wir geben so dem Fachhandel Impulse, über das Thema zu sprechen. Wir hören vom Markt, dass wir der Leaderbrand sind und spüren auf Messen, wie stark wir geschätzt werden. Wir sind praktisch die Einzigen, die noch etwas für den Festnetzmarkt tun. Es ist aber auch klar, da wir schon immer auf diesen Markt fokussiert waren. Unsere DNA ist das Festnetz. Wir sind ein verlässlicher Partner und haben das mit unserer Qualität, unserem Design und unseren Innovationen über Jahre bewiesen. Wir glauben an den DECT-Markt und sind überzeugt, dass die Talsohle bald erreicht ist.

Wann geht es im DECT-Markt wieder aufwärts?

Wann es so weit sein wird, kann ich nicht voraussagen. Derzeit bewegt sich das Umsatzminus im Gesamtmarkt zwischen 5 und 10 Prozent. Es ist nun einmal so, dass das Smartphone das Festnetz zum Teil substituiert. Unser Rückgang ist aber nicht so stark. Vielmehr haben wir deutlich Marktanteile gewonnen, auch in der Schweiz. Deshalb sind wir guten Mutes, was die DECT-Telefonie angeht, und sind auch nicht unzufrieden.

Welche Folgen hatte der Rückgang für Gigaset?

Als 2012 der Markt für Festnetztelefonie auch in der Schweiz zurückging, stellten wir unsere ganze Strategie auf den Kopf. Es begann die grösste Umbruchphase der Unternehmensgeschichte. Gigaset entwickelte sich vom reinen Gerätehersteller zum Dienstleister, der ein komplettes Ökosystem anbietet. Es entstanden die Ausrichtungen Gigaset Pro mit IP-Telefonie für KMUs und die Haussteuerung Gigaset Elements. Das waren neue Welten für uns. Wir mussten für Elements etwa eine Cloud bauen, damit Dienste wie die Überwachung funktionieren.

Welche Auswirkungen hat die Umbruchphase auf Gigaset Schweiz?

Sie war unter anderem mit Kostensenkungsprogrammen verbunden. Aber Personalstellen mussten wir glücklicherweise keine abbauen, weil wir Bereiche zusammenlegen konnten. Durch unsere Marktanteilsgewinne konnten wir gewisse Dinge kompensieren. Netto sind wir durch den Aufbau von Gigaset Pro sogar gewachsen.

Ist diese Umbruchphase jetzt beendet?

Nein, noch nicht. Der letzte grosse Schritt dieser Umbruchphase folgt jetzt mit dem Eintritt in den Smartphone-­Markt. An der IFA in Berlin werden wir unsere ersten Smartphones vorstellen, die dann Ende des Jahres auf den Markt kommen werden.

Wie will Gigaset im umkämpften Smartphone-Markt auffallen?

Das ist natürlich ein Haifischbecken. Aber der weltweite Smartphone-Markt ist 1,3 Billionen schwer. Von diesem Kuchen wollen wir ein Stück. Gerade in der Schweiz sind wir einen hohen Standard an Telefonen und Brands gewohnt. Apple und Samsung sind recht dominant. Aber wir werden uns über unsere Tugenden wie Design, Qualität und Sicherheit differenzieren. Kommt dazu, dass wir mit unserem strategischen Investor, der China im Fokus hat, ein gutes Value Proposition haben. Viele unserer Kunden fragten uns schon lange, warum wir keine Smartphones machen. Wir haben weltweit eine riesige Kundenbasis, auch in der Schweiz. Wenn wir diese in die neuen Geschäftsbereiche bringen können, ist unsere Eintrittsschwelle gering.

Welche Pläne hat der strategische Investor mit Gigaset ausser Smartphones?

Die Golding Group ist im Consumer-Elektronik-Bereich vor allem in den USA stark im Tablet-Markt. Da ist die Zusammenarbeit sinnvoll. Die weiteren Bereiche der Golding Group sind Real Estate und Financial Services, aber auch Weingüter sowie eine eigene Polomannschaft und ein Pferderennstall gehören dazu. Darum sind wir neu auch Sponsor des traditionellen Royale Ascot Race. Ich war das erste Mal dabei und das ist schon faszinierend, wie die Herren im Frack und mit Zylinder und die Damen mit Hüten herumlaufen. Da sind 80 000 Zuschauer dabei, darunter auch die Queen.

Wie verläuft das Geschäft mit Tablets?

Das ist ehrlich gesagt ein schwieriger Markt. Wir wurden in der Schweiz aber mit offenen Armen empfangen und erzielten Achtungserfolge. Für das Gesamtunternehmen war es wichtig, die Zusammenarbeit mit unserem strategischen Investor und auch Android-Know-how aufzubauen. Wir sind zufrieden, aber wie man am Weissbuch sieht, gibt es in der Schweiz einen dramatischen Zusammenbruch im Tablet-Markt.

War es eine Erfahrung, oder kommen weitere Tablets?

Das wird sich zeigen, ob es mit unserem Smartphone-­Geschäft kombinierbar ist, wie etwa die Apps aussehen werden. Aber dieses Jahr kommt sicher kein neues Tablet mehr von Gigaset.

Was kommt als Nächstes von Gigaset? Wearables?

Das haben wir schon. Schliesslich sind unsere G-Tags auch Wearables. Wenn wir Weiteres bringen, muss es aber immer in unser Ökosystem passen.

Sie erwähnten Gigaset Go, das seit Neuestem erhältlich ist. Was kann ich mir darunter vorstellen?

Der Kunde kann Gigaset Go als analoges Telefon oder als IP-Telefon nutzen. Entweder geht man über die ­Telefonbuchse oder nutzt parallel auch die LAN-Verbindung. Man verbindet Gigaset Go am Router, dann erhält man ein komplettes IP-Telefon, das mit allen Onlinediensten wie Online-Telefonbuch und weltweites, ­kostenloses Telefonieren in der Go-Community ausgestattet ist.

Ist das Ihre Antwort auf die kommende ISDN-Abschaltung?

Gigaset Go ist eine unserer Antworten, ja. Wir bieten aber auch ein breites IP-Portfolio. Ende des Jahres werden wir unsere neuen Mobilteile mit der Bezeichnung HX auf den Markt bringen, die einen Dual Stack haben. Das bedeutet, ich kann das Mobilteil entweder normal an der Gigaset-­Basis anmelden oder es etwa direkt – dank der neuesten CAT-IQ-Technologie – an einen Router mit eingebautem DECT-Modul anschliessen. Diese Modellreihe wird im nächsten Jahr noch stark ausgebaut. Für den Kunden muss es letztlich funktionieren, ihm ist es egal, welche Technologie dahintersteckt.

Wie verläuft die Entwicklung der neuen Geschäftssparte Gigaset Pro in der Schweiz?

Ich bin sehr zufrieden mit der Entwicklung in der Schweiz und auch in den anderen Ländern. Wir sind in der Schweiz im dritten Jahr mit Gigaset Pro vertreten und wachsen stark. Dieser Bereich ist ein Projektgeschäft, bei dem wir mit zertifizierten Distributoren und Partnern zusammenarbeiten. Es ist etwas Neues, bei dem wir Erfahrungen sammeln. Aber wir sind wirklich zufrieden. Wir erhielten etwa für unsere Kleinst-Telefonanlage Hybrid 120 GE, die ISDN-, Analog- und IP-tauglich ist, eine Zertifizierung für Business Connect von Swisscom. Wir wollen aber natürlich noch weiter wachsen.

Wird es künftig ein Gigaset-System geben mit Elements, Go, Smartphones, Tablets und DECT-Telefonen?

Mit Elements entwickelten wir bereits ein Ökosystem, bei dem wir unseren Kunden Dienstleistungen anbieten. Da kann ich etwa die Webcam anhängen und kostenlos live streamen. Oder ich kann für 1 Franken im Monat einen Dienst von automatischen Aufnahmen bei Alarmauslösung nutzen. Spannend ist auch der Dienst, der ohne Elements funktioniert. Bei dem definiere ich über das Smartphone ein Gebiet, das mein Zuhause sein soll. In diesem geografischen Raum melde ich mich und meine Familie an. Wenn dann beispielsweise die Tochter nach Hause kommt, merkt das ihr Handy und gibt mir eine Nachricht.

Wird es weitere Lösungen von Drittherstellern für Gigaset Elements geben?

Wir sind grundsätzlich offen. Ich weiss aber noch nichts Konkretes, das ist alles in Entwicklung. Wir wollen bekannte Dinge wie etwa Feuchtigkeitsmesser integrieren. Das kann von uns oder von Partnern stammen.

Wie verläuft das Geschäft mit Gigaset Elements?

Das ist ein kleines Pflänzchen, das sehr stark wächst. Wir begannen letzten Herbst und gehen Richtung Verdoppelung oder Verdreifachung. In Deutschland und Frankreich war der Start früher, und dort gab es sogar eine Verfünffachung beim Gesamtumsatz im vergangenen Jahr.

Wie kommt der neue Geschäftsbereich bei Partnern an?

Ehrlich gesagt könnte der Fachhandel noch mehr mit Elements machen. Über den zweistufigen Vertrieb sind wir mit unseren Direktpartnern deutlich erfolgreicher. Da hat der Fachhändler noch Potenzial. Da suchen wir auch das Gespräch mit unseren Distributoren. Auch die sind in der Pflicht. Wir sind zu klein, um alle unsere Fachhandels­partner ohne Distributoren zu betreuen. Wir spüren aber durchaus das Interesse unserer Partner an Gigaset Elements, etwa an unseren Messeauftritten.

Was bedeutet es für Gigaset, wenn Anbieter wie Swisscom ähnliche Lösungen wie Elements entwickeln?

Ich finde es ehrlich gesagt sehr gut, dass Swisscom Wirbel macht. Die haben ja auch ganz andere Budgets als wir. So ein mächtiger Telko wie Swisscom hat die nötigen Mittel, um dem Thema Gehör zu verschaffen. Das ist für uns also keine Gefahr, sondern da wächst der Gesamtbereich. Und ich bin überzeugt, dass wir neben Swisscom sehr gut bestehen können, weil wir einen anderen Ansatz haben. Swisscom verlangt monatliche Abogebühren und eine hohe Erstinvestition, was aus meiner Sicht eine hohe Eintrittshürde ist. Unsere Philosophie ist eine einfache Bedienung und Installation. Ausserdem haben wir eine Gratis-­App und somit keine monatliche Gebühr. Falls der Kunde will, kann er aber über das Ökosystem Extradienste bestellen. Man kann uns also gerne mit Swisscom vergleichen, da können wir gut mithalten.

Wie unterstützt Gigaset Schweiz seine Partner?

Wir müssen zwischen Consumer und Gigaset Pro unterscheiden. Im Pro-Bereich bieten wir Zertifizierungen, Schulungen, Wikis und mehr. Auf der Consumer-Seite haben wir per se einen zweistufigen Vertrieb. Wir haben da kein Partnerprogramm, sondern klassische Wiederverkaufsmaterialien. Das war aber auch nie so richtig ein Thema. Für unsere Partner im Consumer-Bereich investieren wir in Innovation, Qualität und Design unserer Produkte. Und mit neuen Geschäftsbereichen bieten wir neuen Umsatz für uns und unsere Partner.

Persönlich

Roberto Persici (51) ist seit 2011 verantwortlich für ­Gigaset in der Schweiz. Er hat einen MBA und kommt ursprünglich aus dem Bankenwesen. ­Danach absolvierte er verschiedene Managementfunktionen im Bereich Sales und Marketing, unter anderem für Bosch Elektrowerkzeuge und für die Schul­thess-Gruppe. Anschlies­send war Persici zehn Jahre lang bei Swisscom beim Shopmanagement zuständig für Marketing, Portfolio und die ­Channelstrategie. Der italienisch-schweize­rische Doppelbürger ist verheiratet und hat zwei Kinder. Persici wohnt in der Nähe von Solothurn. Seine Hobbys sind Sport und ­Reisen mit der Familie (Camping).

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3290

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