Hintergrund

KI im Fachhandel bestimmt Päckligrössen und bekämpft Lagerleichen

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Künstliche Intelligenz kommt im Handel bereits zum Einsatz – insbesondere im E-Commerce. Dabei sind die Anwendungsfälle vielfältig. Die Technologie jedoch darf nicht als Allheilmittel verstanden ­werden, wie aus der Branche zu vernehmen ist.

(Source: altitudevisual/AdobeStock.com)
(Source: altitudevisual/AdobeStock.com)

Ob zu grosse Kartons, überschüssige Ware oder unbeantwortete Kundenmails: Viele Probleme, die im Fachhandel auftreten können, lassen sich mithilfe von künstlicher Intelligenz lösen. Zahlreiche Firmen aus der Branche machen sich die Technologie bereits zunutze. 

"Wer seine eigenen Geschäftsprozesse nicht versteht, kann nicht von KI profitieren"

Eine dieser Firmen ist ElectronicPartner. Die Verbundgruppe nutzt etwa den KI-Assistenten in Microsoft Office 365, wie Vorstandsmitglied Matthias Assmann erklärt. Das Unternehmen nutzt KI ausserdem, um Artikel- und Werbetexte zu generieren, Dokumente zu übersetzen oder Bilder für das Marketing zu erstellen. Weitere Anwendungen, etwa KI-Lösungen in Business Intelligence und in den Geschäftsprozessen sowie KI-basierte Recommendations im B2B- und B2C-Bereich, befänden sich in der Evaluation. "Kurz gesagt, vereinfacht der Einsatz von KI-Tools zahlreiche Geschäftsprozesse und macht uns als Dienstleister für unsere Mitglieder aus dem Fachhandel zu einem noch effektiveren, besseren Partner", sagt Assmann, der bei EP unter anderem für die Bereiche IT, Prozesse und Logistik zuständig ist.

Matthias Assmann, ­Geschäftsleitungsmitglied bei ­ElectronicPartner

Matthias Assmann, ­Geschäftsleitungsmitglied bei ­ElectronicPartner. 

Grundlage für den Erfolg beim Einsatz sei allerdings ein sauberes, gut strukturiertes Fundament, sagt Assmann: "Wer seine eigenen Geschäftsprozesse nicht versteht und im Griff hat, kann nicht (oder nur begrenzt) von KI profitieren. Diese Technologie ist kein Allheilmittel und bringt wenig Vorteile, wenn sie nur dem Selbstzweck dient." Sie müsse überlegt und zielführend eingesetzt werden. "Nur wenn das der Fall ist, kann auch die Kundschaft davon profitieren, indem sie passgenaue Produktempfehlungen erhält, die Ware pünktlich an den richtigen Ort geliefert bekommt und das alles zum bestmöglichen Preis-Leistungs-Verhältnis."

Die Integration berge indes noch Herausforderungen, erklärt Assmann. «Die Technologien sind teilweise noch sehr unausgereift und daher oft schwierig zu integrieren. Bislang gibt es wenig Fachpersonal, das auf die Implementierung und Anwendung von KI-Tools spezialisiert ist.» Hinzu komme eine hohe (teilweise sehr hohe) Erwartungshaltung der beteiligten Parteien in Bezug auf den tatsächlichen Effekt der KI-Anwendung.

KI bekämpft Lagerleichen und zu grosse Kartons

Digitec Galaxus setzt ebenfalls auf KI. «Bei Digitec Galaxus prüfen wir laufend, in welchen Bereichen künstliche Intelligenz einen Mehrwert für unsere Kundschaft und/oder uns als Unternehmen bringen kann», teilt das Unternehmen auf Anfrage mit. KI könne dem Onlinehändler in einigen Bereichen dabei helfen, "die Qualität laufend zu verbessern und gleichzeitig preislich attraktiv zu bleiben".

Digitec Galaxus nutze etwa künstliche Intelligenz für die Optimierung von Paketgrössen. "Die Suche nach den optimalen Kartongrössen ist höchst komplex, es gilt sehr viele Variablen zu berücksichtigen – umso willkommener ist KI", heisst es vonseiten Digitec Galaxus. Das Projekt sei für das Unternehmen ein grosser Erfolg: «Erstens erleichtern wir unseren Mitarbeitenden ihre alltägliche Arbeit, weil sie weniger Pakete mit Luftschlangen stopfen müssen. Zweitens ist das Kundenfeedback überwiegend positiv und Kundenbeschwerden wegen zu gros­ser Pakete haben signifikant abgenommen." Auch der Umwelt-Aspekt komme zum Tragen. 

Digitec Galaxus nutze KI auch in der Logistik, schreibt das Unternehmen weiter. In der Lagerbewirtschaftung setze man etwa auf ein intelligentes Bestellsystem, das automatisch erkennt, welche Produkte stark und welche schwach nachgefragt werden. Die Beschaffung passe sich automatisch der Nachfrage an. Dies soll dazu beitragen, «Lagerleichen», also unverkaufte Neuwaren, zu verhindern.

Migros Online hat ebenfalls die Möglichkeiten von KI für den E-Commerce erkannt, wie CTO Isabelle Steiner im Interview erklärt. "Wir haben bisher nur die Spitze des Eisbergs der Möglichkeiten gesehen. Sprechen wir in zwei Jahren nochmals darüber, werden wohl alle Onlineunternehmen mitten in einer KI-Transformation sein." Das Unternehmen selbst wolle jedoch dabei das Rad nicht neu erfinden, betont Steiner. «Wir werden die vielen sinnvollen Initiativen, die es bereits gibt, in einen strategischen Kontext stellen und abwägen, wo es sich lohnt, Ressourcen einzusetzen.» Hier stünden Projekte im Fokus, die das Kerngeschäft unterstützen und die Organisation effektiver machen. 

Mehr als nur ein Trend

Der Geschäftsführer des Handelsver­band.swiss, Bernhard Egger, sieht KI speziell im E-Commerce nicht mehr bloss als Trend: "Ich würde hier nicht mehr von einem Trend, sondern von produktivem Einsatz sprechen." Der Verband gibt seinen Mitgliedern Hilfestellungen in der Vermittlung dieser Technologie und stellt ein Netzwerk zwischen Händlern und Anbietern zur Verfügung, wie Egger erklärt. 

Berhard Egger, ­Geschäftsführer Handels­verband.swiss.

Berhard Egger, ­Geschäftsführer Handels­verband.swiss.

Auch er sieht zahlreiche Anwendungsfelder: "Beginnend von der Generierung von Produktbeschreibungen für den Webshop, die Zusammenfassung der wichtigsten Bullet Points zu einem Produkttext, bis hin zu Kundenserviceanfragen in allen Belangen sind hier sehr viele Einsatzgebiete möglich", sagt Egger. Im Kundenservice nennt er konkret das Beantworten von E-Mails sowie die Livekommunikation mit Chatbots. Das Ergebnis der KI-Textgenerierung müsste zwar sicherlich noch redigiert werden, betont der Handelsverbandschef. Allein die Bereitstellung dieser "Unterlagen" bedeute jedoch bereits eine enorme Arbeitserleichterung.

Nachteile der KI-Technologie sind für Egger in der Fragestellung der Quelle zu suchen: "Je besser die Quelle, je besser das Briefing, umso besser sind die Antworten." Die Gefahr der KI sei ein ungeprüfter Einsatz und eine fehlende Validierung der Daten. "Wir müssen lernen, mit der Technologie umzugehen und sie als ‹Assistenten› zu sehen und nicht als Allheilmittel."

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