Umstrittenes Bewertungssystem

Postfinance-Mitarbeitende sollen über ihre Kollegen urteilen mit Powercoins

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von Yannick Chavanne und Übersetzung: Kevin Fischer

Postfinance experimentiert mit einem Bewertungssystem. Mitarbeitende können positives Verhalten ihrer Kollegen mit "Powercoins" belohnen. Ein Drittel der 3500 Mitarbeitenden des Unternehmens nimmt bereits freiwillig teil.

Bildunterschrift: Postfinance präsentiert ihr Powercoins-System als Instrument für den digitalen Wandel. (Source: Postfinance)
Bildunterschrift: Postfinance präsentiert ihr Powercoins-System als Instrument für den digitalen Wandel. (Source: Postfinance)

Was wäre, wenn die Mitarbeiter jederzeit wissen könnten, ob ihre Arbeit geschätzt wird, anstatt auf das jährliche Beurteilungsgespräch zu warten? Postfinance untersucht das Konzept auf eine sehr konkrete Art und Weise. Eine Reportage von "10vor10" (SRF) zeigt, wie der Finanzbereich der Post auf eine Kultur des unmittelbaren Feedbacks setzt. Das Unternehmen hat ein numerisches Bewertungssystem eingerichtet, das auf der Verteilung so genannter "Powercoins"-Münzen basiert. Sie wurden unter den Kollegen verteilt und dienen dazu, einen Mitarbeiter für ein vom Management als vorbildlich eingestuftes Verhalten zu belohnen. Zum Beispiel, wenn jemand eine mutige Entscheidung getroffen oder sich exponiert hat. "Wir wollen, dass die Menschen sich exponieren, ihre Meinung verteidigen und sogar auf Widerstand stossen - auch gegen Hierarchiestufen", sagt Roger Lötscher, Leiter Personaltransformation bei Postfinance. Aus dem SRF-Bericht geht hervor, dass sich bereits gut ein Drittel der 3500 Mitarbeitenden von Postfinance freiwillig für das Powercoins-System entschieden haben.

Mehr Druck oder Motivation?

Die Anzahl der von einem Mitarbeiter verdienten Powercoins ist nicht unbedingt vertraulich. "Die Mitarbeiter können, wenn sie es wünschen, einem Team beitreten, und innerhalb dieses Teams sind die Powercoins sichtbar. Wenn sie keinem Team beitreten, sind die Powercoins für andere nicht sichtbar und nur der Mitarbeiter kennt ihren Punktestand", erklärt ein Postfinance-Sprecher auf Anfrage.

Die Freiwilligkeit dieser Teilnahme wird von David Roth von Syndicom in Frage gestellt: Die Powercoins werden ausdrücklich als Instrument des digitalen Wandels qualifiziert, "jeder, der nicht teilnimmt, zeigt, dass er für den digitalen Wandel nicht geeignet ist. Der Druck zur Teilnahme ist enorm", sagt der Gewerkschafter vor den Kameras des SRF. Er warnt auch davor, dass diese Art von Peer-Evaluationssystem die Tür für das Mobbing von Mitarbeitern öffnet, indem diese niemals belohnt werden.

Der Leiter der Personaltransformation bei Postfinance verteidigt sich und betont, dass es sich dabei nicht um ein Instrument zur Beurteilung, sondern zur Förderung positiven Verhaltens handelt.

Häufig verwendete und geschätzte Werkzeuge

Heutzutage sind Punktvertriebslösungen in Unternehmen keineswegs selten. Mehr als die Hälfte der 900 Mitarbeiter, die 2019 im Rahmen einer Umfrage von TalentLMS befragt wurden, gaben an, dass sie Punkte über eine App oder Software erhalten. Die häufigste Gamifizierung ist jedoch die Vergabe von Abzeichen. Die Studie weist auch darauf hin, dass diese Massnahmen positiv bewertet werden: Die meisten Arbeitnehmer glauben, dass das Spielen sie produktiver (89 Prozent) und glücklicher am Arbeitsplatz (88 Prozent) macht. Schulungssoftware und -anwendungen sind gemäss der Umfrage die Programme, die am ehesten mehr Spielfunktionalität enthalten. Als nächstes kommen Kommunikationslösungen, gefolgt von Kontaktsoftware (HR und CRM).

Obwohl laut der TalentLMS-Studie von den Mitarbeitern eindeutig geschätzt, sind Instrumente zur Verteilung "positiver" Punkte wie die Powercoins von Postfinance umstritten: Sie erinnern unweigerlich an Gesellschaftssysteme, die auf dem Ruf der Bürger basieren. Beispiele dafür sind das Konzept des Sozialkredits in China oder das gesellschaftliche Bewertungssystem in der Folge "Free Fall" der TV-Serie "Black Mirror".

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