Studie vom BFE

Wie Strom zur Mangelware wird

Uhr
von Leslie Haeny und cka

Aufgrund neuer und bestehender EU-Regelungen ist die Schweizer Stromversorgung in Gefahr. Können sich die Schweiz und ihre Nachbarländer nicht auf gemeinsame Abkommen einigen, könnte der Strom im schlimmsten Fall für 500 Stunden ausfallen.

(Source: Zac Cain / Unsplash)
(Source: Zac Cain / Unsplash)

Wenn nötig, kann die Schweiz Strom aus dem benachbarten Ausland importieren - ein wichtiger Pfeiler für die Stromversorgungssicherheit im Land. Doch dieser Pfeiler gerät nun ins Wanken. Grund dafür sind Regulierungen der EU. Wie es in einer vom Bundesamt für Energie (BFE) veröffentlichten Studie heisst, trat vergangenes Jahr das Clean Energy Package in Kraft. Es legt neue Regeln für den Stromhandel und den technischen Netzbetrieb fest. Ziel sei es dabei, den Stromaustausch in der ganzen EU zu optimieren und so auch Preisunterschiede zwischen den Ländern zu reduzieren.

Als Drittstaat kann die Schweiz bei der Festlegung dieser Gesetze nicht mitreden, ist allerdings trotzdem von einem Grossteil der neuen Regeln betroffen, da sie mitten im europäischen Stromnetz liegt. So importiere beispielsweise Italien Strom aus Deutschland, der durch die Schweiz fliesst. Wie es seitens des BFE heisst, sind solche Transite im Voraus geplant, damit die Grenzkapazitäten limitiert und so vom Übertragungsnetzbetreiber gut gehandhabt werden können. Es komme jedoch immer häufiger zu ungeplanten Stromflüssen und damit zu Netzengpässen. "Dadurch werden die Importkapazitäten der Schweiz beschnitten und die Netzstabilität gefährdet", heisst es.

Um das Stromnetz stabil zu halten, müsse der Übertragungsnetzbetreiber Swissgrid immer öfter eingreifen. Beispielsweise indem er Energie aus Wasserkraftwerken einsetzt. Das klingt nicht weiter tragisch. Allerdings steht besagte Energie dann nicht mehr für die Stromversorgung von Verbraucherinnen und Verbrauchern zur Verfügung. "Das ist aus Versorgungssicht problematisch und es ist teuer", heisst es in der Studie.

2025 verschärft sich die Lage

2025 bringt das Clean Energy Package gleich noch eine kritische Komponente. Denn bis spätestens am 31. Dezember 2025 müssen alle europäischen Übertragungsnetzbetreiber mindestens 70 Prozent der für den grenzüberschreitenden Handel relevanten Kapazitäten für diesen freihalten. "Diese 70-Prozent-Regel könnte die Importkapazitäten der Schweiz einschränken. Zudem könnte sie die Netzbelastung erhöhen und so die Netzstabilität in der Schweiz gefährden", befürchtet das BFE.

Die Studie weist zudem auf Veränderungen in der Energiegewinnung hin. So sind sowohl die Schweiz als auch die EU-Staaten dabei, die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien stark auszubauen. Diese Entwicklung wirke sich ebenfalls auf die Stromflüsse im europäischen Stromnetz und damit auf die Netzsicherheit und Versorgungssicherheit der Schweiz aus.

3 unterschiedliche Szenarien

Um zu ermitteln, was 2025 auf die Schweiz zukommen könnte, zeigt die Studie drei mögliche Energieversorgungsszenarien auf:

Die drei Szenarien im Überblick. (Source: BFE)

Szenario 1: Keine Kooperation

Bei Szenario 1 handelt es sich gemäss Studie um das Worst-Case-Szenario. Dieses sieht vor, dass keine Kooperation zwischen der Schweiz und der EU zustande kommt beziehungsweise weitergeführt wird. Die Schweiz kann in diesem Szenario nur noch maximal 2670 Megawatt Exportkapazität und maximal 2750 Megawatt Importkapazität kommerziell nutzen. Somit würde rund dreimal weniger importiert und etwa viermal weniger exportiert.

Laut Studie sinken dadurch und durch die Energieknappheit im Winter die Füllstände in den hiesigen Speicherkraftwerken rasch ab. Das würde dazu führen, dass Ende März nicht mehr genügend Strom da ist und der inländische Strombedarf während 47 Stunden nicht gedeckt werden kann. Unter ganz extremen Bedingungen - wenn es zu zusätzlichen Produktionsausfällen kommen würde - könnte die Versorgung gar bis zu 500 Stunden unterbrochen sein.

Szenario 2: Technische Kooperation ITN/CORE

Eine wesentlich weniger düstere Zukunft zeigt das zweite Szenario auf. In diesem hat die Schweiz genügend Strom zur Verfügung, um den Energiebedarf zu decken und die Versorgung zu sichern. Dies gelingt, indem Swissgrid Verträge mit den Übertragungsnetzbetreibern der Kapazitätsberechnungsregion Italy North ITN (dazu gehören Slowenien, Italien, Frankreich, Österreich) sowie mit den Übertragungsnetzbetreibern der Kapazitätsberechnungsregion CORE (dazu gehören Belgien, Deutschland, Frankreich, Kroatien, Niederlande, Österreich, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn) abschliesst.

Das BFE gibt zu bedenken, dass für den Abschluss solcher Verträge die Zustimmung der nationalen Regulierungsbehörden der betroffenen Länder erforderlich ist.

Szenario 3: Stromabkommen

Das dritte Szenario zeigt die engste mögliche Kooperation zwischen der Schweiz und ihren Nachbarländern auf. Erreicht wird diese, indem die Schweiz ein Stromabkommen mit der EU abschliesst, in dem sie einem EU-Mitgliedstaat gleichgestellt wird. Damit wären alle EU-Regulierungsvorgaben einschliesslich der Vorgaben aus dem Clean Energy Package auch auf die Schweiz anwendbar. Dieses Szenario biete "zusätzliche Versorgungssicherheit und auch finanzielle Vorteile für die Schweiz", heisst es. Hier gäbe es klare Regeln für den Fall, dass in mehreren Regionen Versorgungssicherheitsprobleme auftreten, weshalb sich die Schweiz auch in einem solchen Fall keine Sorgen um die Stromversorgung machen müsste.

Lesen Sie ausserdem: Schweizerinnen und Schweizer besitzen mehr Haushalts- und Elektrogeräte, verbrauchen aber weniger Strom. Besonders Geräte aus den Bereichen IT-, Büro- und Unterhaltungselektronik werden immer effizienter. Elektroherde und Backöfen haben hier noch Nachholbedarf.

Webcode
DPF8_234845