Parldigi-Dinner

Digitalisierung und Klimaschutz – es ist kompliziert

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von René Jaun und jor

Mehr Digitalisierung führt nicht automatisch zu weniger CO2-Emissionen. Die Referierenden am Parldigi-Dinner zeigten auf, was es braucht, damit Digitalisierung für den Klimaschutz vom Fluch zum Segen werden kann.

Jan Bieser vom Gottlieb Duttweiler Institut referierte am Parldigi-Dinner über die Klimaeffekte der Digitalisierung. (Source: zVg)
Jan Bieser vom Gottlieb Duttweiler Institut referierte am Parldigi-Dinner über die Klimaeffekte der Digitalisierung. (Source: zVg)

Ist Digitalisierung für den Klimaschutz Fluch oder Segen? Diese Frage stand im Zentrum des Parlamentarier-Dinners vom 31. Mai im Berner Restaurant "Zum Äusseren Stand". Organisiert wurde der Anlass von Parldigi, einer Gruppe von Politikerinnen und Politiker, die sich in Bundesbern für Digitalthemen einsetzen.

Dass die Beziehung zwischen Digitalisierung und Klimaschutz keine einfache ist, stellte Edith Graf-Litscher, Parldigi-Co-Präsidentin und Nationalrätin, gleich zu Beginn klar: Die Erwartung, dass sich mit mehr Digitalisierung die CO2-Emissionen reduzieren würden, habe sich inzwischen als falsch herausgestellt, sagte die Politikerin, und erinnerte an eine Schätzung des französischen Think-Tanks "The Shift Project", wonach allein das Videostreaming weltweit über 300 Megatonnen CO2 pro Jahr verursache. Doch per se schlecht seien die neuen Technologien auch nicht. "Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen, wie in den meisten Bereichen", so Graf-Litscher.

Edith Graf-Litscher, Nationalrätin und Parldigi-Co-Präsidentin. (Source: zVg)

Dieses Spannungsfeld zwischen Chancen und Risiken beleuchtete Jan Bieser vom Gottlieb Duttweiler Institut. Der Forscher beschäftigt sich schon länger mit den Auswirkungen der Digitalisierung für eine Nachhaltige Entwicklung. In seinem Vortrag sprach er zunächst über direkte Klimaeffekte der Digitalisierung, also über ihren Fussabdruck. Dabei handelt es sich um die Emissionen, die bei der Herstellung und dem Betrieb von Geräten und Anlagen anfallen. Der grösste Teil (zwei Drittel) entfällt dabei auf Endgeräte, wie etwa Smartphones, erklärte der Referent, der seine Aussagen jeweils mit Studienergebnissen untermauerte. Allerdings falle die grösste Klimabelastung der Endgeräte bei deren Herstellung im Ausland an, während der Betrieb deutlich weniger ins Gewicht falle. Um hier die Emissionen zu reduzieren, könnten Geräte länger genutzt oder die Anzahl Geräte pro Person reduziert werden.

Anders verhält es sich bei Infrastrukturen, wie etwa 5G-Servern oder Rechenzentren. Hier halten sich Herstellung im Ausland und Betrieb in der Schweiz bezüglich Emissionen etwa die Waage, erklärte Bieser. Um den CO2-Fussabdruck zu verkleinern, könnten Betreiber etwa auf möglichst effiziente Technologie setzen, ihren Strom aus erneuerbaren Energiequellen beziehen sowie versuchen, so wenig Infrastruktur wie möglich zu nutzen - also etwa Rechenzentren zu 100 Prozent auszulasten.

In vielerlei Hinsicht habe sich der CO2-Fussabdruck verkleinert. "Wir nutzen immer effizientere Endgeräte", erklärte der Referent. Auch die Tatsache, dass heute mehr Smartphones statt PCs genutzt würden, wirke sich positiv auf die Ökobilanz aus. Zudem habe sich die Lebensdauer genutzter Geräte verlängert, es werde mehr erneuerbare Energie genutzt und bei der Anzahl Geräte zeichne sich eine Sättigung ab.

Jan Bieser, Senior Researcher und Speaker am Gottlieb Duttweiler Institut. (Source: zVg)

Mehr IoT, mehr Shopping

Negativ wirkt sich derweil ein ansteigendes Datenvolumen aus. Und im Zuge des Internet of Things (IoT) dürfte die Anzahl Geräte künftig wieder deutlich stärker ansteigen. Zudem, bemerkte Bieser, wolle der IT-Sektor ja auch neue Geräte verkaufen. Die Mehrheit der Studien prognostizieren eine Zunahme der Emissionen, womit Massnahmen zum Gegensteuern wichtiger würden.

Auch nicht nur optimistisch präsentiert sich die Lage bei den indirekten Auswirkungen der Digitalisierung auf die Nachhaltigkeit. Noch 2015 sagte eine Studie voraus, dass durch die Digitalisierung bis 2030 20 Prozent des globalen Treibhausgasausstosses gespart werden könnten, beispielsweise durch Homeoffice, Car Sharing, Energieoptimierung, Smart Agriculture oder Gebäudeautomation.

Tatsächlich sei aber etwa im Verkehr die Fahrleistung pro Kopf in der Schweiz seither nicht gesunken – mit Ausnahmen der Coronapandemie, wie Bieser anmerkte. Und auch für die Industrie erwähnte der Referent Studien, die darauf hinweisen, dass Digitalisierung eher die Emissionen steigert. Und schliesslich nannte er gleich mehrere Beispiele aus dem Konsumbereich: Hier sorgten Onlineshops, oft unter Zuhilfenahme von Dark Patterns, dafür, "dass wir Dinge tun, die nicht unserem eigenen Willen entsprechen". Und insbesondere im Mode-Bereich haben sich in Folge der Digitalisierung und des Online-Marketings die Intervalle neuer Produktelinien verkürzt. Das Resultat sei ein "Fast-Fashion-System", wie Bieser es ausdrückte und dazu fragte: "Ist das nachhaltig, wenn wir die Kleidung noch 50 Prozent der Zeit tragen wie früher?"

Alles in allem sei der wissenschaftliche Konsens, dass sich positive und negative Effekte der Digitalisierung in etwa ausgleichen, fasste er zusammen. Den Anwesenden gab er zum Schluss ein paar Aktionsfelder für die Schweiz auf den Weg, darunter die folgenden:

  • Bevölkerung sensibilisieren, wie sie mit ihrem Digitalverhalten Energie sparen können.

  • Transparenz für Endgeräte schaffen, etwa mit einer Verpflichtung zur Angabe der Inhaltsstoffe auf Verpackungen

  • Umweltstandards für digitale Dienste einführen (etwa die Auto-Play-Funktion bei Videodiensten deaktivieren)

  • Nachhaltige Software fördern

  • Energienormen für Rechenzentren einführen

  • Umweltstandards bei den Richtlinien für Anwendungen mit künstlicher Intelligenz forcieren.

  • Digitale, smarte Anwendungen fördern.

Jede Lösung prüfen

Wie ein Grosskonzern für klimafreundliche Digitalisierung sorgt, erläuterte Melanie Kubin-Hardewig, verantwortlich für den globalen Bereich unternehmerische Verantwortung bei der Deutschen Telekom. Ihr Unternehmen habe das Thema Nachhaltigkeit vor vier Jahren zu einem Teil der Unternehmensstrategie erhoben, sagte die per Video zugeschaltete Referentin. Digitalisierung komme nicht nur mit Umweltschutz in Berührung, sondern auch mit Themen wie Diversität, Gleichberechtigung oder Zukunftsfähigkeit. Als einer der ersten Schritte müsse Transparenz geschaffen werden. Dabei stelle sich auch immer die Frage, wie sich etwas Messen lasse, erklärte Kubin-Hardewig. Diese Frage stellt das Unternehmen systematisch bei jeder vorhandenen Lösung. Daraus leitet es Massnahmen ab, um den Fussabdruck zu verkleinern.

Melanie Kubin-Hardewig von der Deutschen Telekom referierte per Videokonferenzschaltung. (Source: zVg)

Kubin-Hardewig merkte an, dass bei den Bemühungen ihres Unternehmens auch die Kundschaft und Partner wichtig sind. So würde die Deutsche Telekom beispielsweise gerne die Kreislaufwirtschaft mit Endgeräten fördern. Bei den Festnetzgeräten würden 70 Prozent der Geräte jeweils zurückgegeben. Dagegen trennten sich Kundinnen und Kunden nur ungern von ihren alten Handys, zumindest im europäischen Markt. Aktuell arbeitet die EU an einem Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft. "Wir hoffen, dass dies einen Push gibt und wir Kunden auf die Reise mitnehmen können."

Auch bezüglich Rechenzentren entstehen aktuell Vorschriften zur Nachhaltigkeit. Man wisse, dass gerade KI-Anwendungen den Bedarf an Ressourcen erhöhen werden, räumte die Referentin sein. Ziel sei es darum, die Ressourcen von den Emissionen zu entkoppeln.

Über Rechenzentren sprach auch Franz Grüter, Nationalrat, Parldigi-Co-Präsident und Verwaltungsratspräsident des Rechenzentrumsbetreibers Green. Es lohne sich, in energieeffiziente Infrastruktur zu investieren, gab er den Anwesenden mit auf den Weg. Denn effektiv steigere man damit seine Wettbewerbsfähigkeit. "Wir gewinnen viele Kunden, weil wir energieeffizient sind, und dadurch günstiger anbieten können."

Franz Grüter, Nationalrat, Parldigi-Co-Präsident und Verwaltungsratspräsident von Green. (Source: zVg)

Übrigens: Seit 2014 machen Rechenzentren bezüglich ihrer Energieeffizienz keine nennenswerten Fortschritte mehr, wie aus einer Analyse des Uptime Institute hervorgeht. Hinzu kommt: Die Betreiber überwachen zwar Energieverbrauch und -effizienz, lassen aber andere Faktoren oftmals ausser Acht. Lesen Sie hier mehr dazu

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