Fachbeitrag

E-Commerce: Zu langsam vorwärts bedeutet rückwärts

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von Ralf Wölfle, Leiter Kompetenzschwerpunkt E-Business, Institut für Wirtschafts-informatik, FHNW

Schweizer Onlineanbietern droht, gegenüber ausländischen Wettbewerbern zurückzufallen – auch wenn Kunden nicht primär preisorientiert entscheiden. Selbst aus der lokalen Nähe scheint sich kein nachhaltiger Vorteil machen zu lassen. Den Ausweg blockiert eine mentale Barriere.

Ralf Wölfle, Leiter Kompetenzschwerpunkt E-Business, Institut für Wirtschafts-informatik, Fachhochschule Nordwestschweiz. (Source: Simone Belka)
Ralf Wölfle, Leiter Kompetenzschwerpunkt E-Business, Institut für Wirtschafts-informatik, Fachhochschule Nordwestschweiz. (Source: Simone Belka)

Gemeinhin gelten niedrigere Preise als Hauptgrund, warum ausländische Onlineanbieter in der Schweiz so stark Marktanteile gewinnen. Sicher ist der Preis oft ein wichtiger Faktor – aber doch nur einer unter mehreren. "Die Kundensegmente, die sehr kostenbewusst sind, haben Schweizer Anbieter vielleicht schon verloren", meint Francesco Vass, CEO von Ricardo.ch, im diesjährigen E-Commerce Report Schweiz. Umso wichtiger werden die anderen Faktoren, die für Kunden nützlich sind und infolge derer der Preis nicht mehr der niedrigste, sondern lediglich noch angemessen sein muss.

Verfügbarkeit und Lieferoptionen, Convenience und ansprechende Kaufanregungen sind solche anderen Faktoren. Alle Onlineanbieter, die es sich leisten können, arbeiten seit Jahren daran, den Benchmarks ihrer Branche möglichst nahe zu kommen. Die Best-in-Class-Player sind allerdings schon dabei, in ganz neue Leistungsdimensionen vorzudringen. In vielen Branchen ganz vorne stehen Amazon und Zalando.

Sprachassistenten und Logistik machen den Unterschied

Amazons Präsentation zahlreicher weiterer Echo-Geräte im September etwa lenkt den Blick auf Conversational Commerce, sprach- oder chatbasierte Bestellvorgänge. Wenn diese in den nächsten Jahren einen relevanten Marktanteil auf sich ziehen werden, was in einigen Bedarfssituationen gut vorstellbar ist, wie werden sich Schweizer Anbieter dann dort positionieren können? Gleich in doppelter Hinsicht werden sie sich den Spielregeln globaler Plattformen unterwerfen müssen: Einerseits, um das eigene Angebot in Form von Skills oder dergleichen den digitalen Assistenten überhaupt zugänglich zu machen. Und andererseits, um Wege zu finden, sich bei diesen gegenüber konkurrierenden Angeboten zu behaupten. Wem auf Schweizer Seite trauen wir zu, auf dieser neuen Wettbewerbsebene zeitnah mitspielen zu können? Mehr als fünf Namen werden wohl den wenigsten einfallen.

Wirft man den Blick auf ein anderes Feld, die Logistik, in der die örtliche Nähe eigentlich ein Vorteil sein müsste, sollten sich Schweizer Anbieter nicht zu sicher fühlen. Denn einerseits werden die Lieferprozesse aus dem Ausland derart optimiert, dass die grenzüberschreitende Lieferung binnen 48 Stunden eine Standardoption werden dürfte. Und andererseits ist zu beobachten, dass Versender wie Amazon und Zalando, bei Lebensmitteln auch Picnic, die Standardleistungen grosser Paketdienste um eigene, selbst gesteuerte Premium-Logistik-Services erweitern.

Höchste Aufmerksamkeit verdienen dabei Zalandos in Deutschland beobachtbaren Pilotprojekte: Zum einen der Verkauf von Waren aus dem stationären Handel über die Zalando-Plattform und zum anderen der Aufbau eines Fashion Fulfillment Networks. Darin will Zalando die Koordination unterschiedlicher unabhängiger Logistikdienstleister übernehmen. Wenn der Sportschuh oder die Herbstjacke nach der Bestellung bei Zalando in einem Zürcher Ladengeschäft gerüstet und per Velokurier binnen Stunden zum Kunden kommen kann – was will ein Schweizer Onlineanbieter dem dann entgegenhalten?

Knackpunkt Kooperation

In anderen Branchen kann beobachtet werden, wie Wettbewerber Allianzen bilden, um trotz überlegener ausländischer Digitalplayer im Spiel zu bleiben. Ein Beispiel ist das gemeinsame Engagement von Ringier und Tamedia in der Jobs.ch-Holding.

Vielleicht bräuchte es vergleichbare Initiativen des Schweizer Handels, um eine kritische Masse für leistungsfähige, wettbewerbsrelevante Services zu bilden. Etwa eine gemeinsam gesteuerte City-Logistik, die stationäre Geschäfte und andere Ressourcen von Schweizer Anbietern einbindet, auf die ausländische Anbieter aber keinen Zugriff haben. Aber freiwillig mit Wettbewerbern zu kooperieren, scheint viel schwieriger zu sein, als sich von Plattformen in ein vorgegebenes Konzept zwingen zu lassen.

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