Audio

Wiederhören macht Freude

Uhr

Albrecht Gasteiner ist weitherum bekannt als Digitalpionier und Chef des HDTV-Forum Schweiz. Doch damit nicht genug, als Experte widmet sich der Tonmeister auch der Erhaltung historischer Tonaufnahmen.

(Source: GEORGIOS KEFALAS)
(Source: GEORGIOS KEFALAS)

In alten Fotoalben zu blättern, mobilisiert Unmengen faszinierender Erinnerungen. Und das nicht nur beim Anschauen selbst geknipster Bildchen, sondern auch beim Durchforsten dessen, was Eltern und Grosseltern sorgfältig fotografiert haben. "Weisst Du noch?"-Fotos sind ein wichtiger Teil der eigenen Geschichte, sie sind robust und enorm lange haltbar, und wenn man ihre Negative findet, lassen sich davon auch noch nach Jahrzehnten neue Vergrösserungen fabrizieren und in die Alben von Kindern und Kindeskindern einkleben.

Auch bewegte Familienbilder lassen sich meist wiederbeleben. Wer auf seinem Dachboden alte Beta- oder VHS-Kassetten findet, vielleicht auch welche mit 8-mm- oder Hi-8-Beschriftung, der hat recht gute Chancen, irgendwo ein noch funktionierendes Abspielgerät aufzutreiben, von dem aus man die Aufnahmen dauerhaft in das Digitalzeitalter hinüberretten kann. Dafür kommt fast jedes digitale Speichermedium infrage, von der DVD bis zu USB, SSD, NAS und so weiter. All diesen ist gemeinsam, dass sie Bild- und Tonqualität auch nach Jahren nicht verschlechtern, und dass die von ihren gezogenen Kopien qualitativ mit den Originalen identisch sind.

Von Edison und Emil Berliner

So weit, so überschaubar. Bedeutend problematischer zeigt sich die Situation hingegen auf dem Gebiet der Töne. Das hat seinen Grund zur Hauptsache darin, dass es die technische Möglichkeit, Geräusche, Töne und Klänge zu speichern, schon sehr viel länger gibt. Zum Vergleich: Den ersten professionellen Videorekorder brachte Ampex 1956 auf den Markt, die ersten Familien-Camcorder tauchten gar erst zu Anfang der 1980-er-Jahre auf. Doch Edison hat seinen Phonographen schon 1877 erfunden. Nur zehn Jahre später führte Emil Berliner bereits die erste Schallplatte vor. Selbst die magnetische Schallaufzeichnung hat ihren Ursprung im 19. Jahrhundert: Auf einem von Valdemar Poulsen erfundenen Gerät wurde eine auf eine Walze gewickelte Klaviersaite magnetisiert. Und 1935 schliesslich stellte die AEG das erste Tonbandgerät vor, auf dem ein von der BASF gefertigter Kunststoffstreifen magnetisiert wurde.

So existieren heute also Tonaufnahmen aus einem ganzen Jahrhundert, darunter Trouvaillen von unschätzbarem Wert. Ob erste, unbeholfene Kompositionsversuche eines verstorbenen, längst weltberühmten Musikers oder das Weihnachtsgedicht eines Fünfjährigen, der heute Grossvater ist, unbeachtete Schachteln auf verstaubten Dachböden bergen oft akustische Überraschungen, gelegentlich gar solche von eminenter historischer Bedeutung.

Es ist höchste Zeit!

Nur: viele dieser unwiederbringlichen Dokumente sind in höchster Gefahr. Schallplatten können sich unter ungünstigen Lagerbedingungen verformen, sie können Sprünge bekommen oder in der Rillentiefe unrettbar verschmutzen. Tonbänder neigen zum Verkleben, zum Reissen oder zum Ablösen ihrer Magnetbeschichtung, um nur einige wenige der vorkommenden Probleme aufzuzählen. Doch wer versucht, alte Aufnahmen dauerhaft zu sichern, sieht sich rasch mit einer noch viel schlimmeren Problematik konfrontiert: Selbst die besten und kostbarsten Tonbänder, Schallplatten und Audio-Kassetten sind wertlos, wenn man kein dafür passendes Abspielgerät mehr findet. Tatsächlich ist die Situation dramatisch und sie wird ständig schlimmer. Einerseits, weil in den vergangenen hundert Jahren eine Vielzahl unterschiedlichster Aufnahmeformate aufgetaucht und auch wieder verschwunden sind. Und andererseits, weil all diese Apparate ja eine begrenzte Lebenserwartung haben. Doch passende Ersatzteile für defekte Antiquitäten aufzutreiben, ist oft ein Ding der Unmöglichkeit. Und Servicetechniker, die sich mit den Innereien der Maschinen auskennen, sterben schlicht aus.

Keine Frage, es ist höchste Zeit, die Tondokumente des 20. Jahrhunderts in das digitale Zeitalter hinüberzuretten und sie damit dauerhaft zu sichern. Noch hat man da und dort Chancen, die notwendigen Gerätschaften aufzutreiben und dazu – ebenso wichtig – Spezialisten, die gleichviel Erfahrung im Umgang mit der angejahrten Analogtechnik einbringen wie mit der modernen Digitaltechnik. Noch.

Exotische Aufnahmegeräte

Konsequent diesem Auftrag hat sich Albrecht Gasteiner verschrieben. An musikalischer Erfahrung hat er seine Mitwirkung bei den Salzburger Festspielen und im Wiener Kammerorchester sowie Konzerte als Jazzschlagzeuger vorzuweisen, als Produzent und Tonmeister hat er viele Klassik-Aufnahmen mit berühmten Künstlern für Rundfunkstationen und Schallplattenfirmen in verschiedenen Ländern geleitet – analog wie digital – und seine Rolle bei der Einführung der Digitaltechnik war so bedeutend, dass ihm das Deutsche High Fidelity Institut die Produktion der europaweit allerersten digital aufgenommenen Schallplatte übertrug.

So jemand kennt die Eigenheiten und Empfindlichkeiten der verschiedenen Techniken nicht nur vom Hörensagen. Er spürt schon beim Öffnen der Schachtel, wie er mit dem Tonband wird umgehen müssen und auf welchem Gerät er es am besten abspielen wird. Dafür stehen mehrere Geräte zur Verfügung, wobei "mehrere" eigentlich heftig untertrieben ist. Wie viele Abspielgeräte Gasteiner in seiner Firma Omniphon am Basel Rheinufer betreibt, weiss er nämlich selbst nicht so genau. Es werden wohl so um die 20 sein. Für Tonbänder und Kassetten mit 1/8 -Zoll-Breite, mit ¼ Zoll, ½ Zoll, 1 Zoll und 2 Zoll, mit 5 verschiedenen Geschwindigkeiten, mit Dolby A, B, C und SR, mit DBX oder gar Telcom C-4. Dazu eine Schallplatten-Waschmaschine und ein hochwertiger Plattenspieler mit verschiedenen Tonarmen und Tonabnehmern. Das ist die Analog-Seite. Doch weil heute sogar schon verschiedene Digitalformate als historisch gelten müssen, gehören zum Inventar auch mehrere DAT-Rekorder sowie Exoten wie Mini-Disc, DTRS und DCC. Dazu noch ADAT für 8 Audiokanäle auf einer S-VHS-Kassette oder gar PCM-Prozessoren aus der Urzeit der Digitaltechnik, mit denen man auf Beta-Videobändern in NTSC oder PAL hochwertige 2- oder 4-kanalige Tonaufnahmen herstellen konnte. Die exotischsten Stücke sind hingegen ein Abspielgerät für briefmarkengrosse Mikrokassetten und ein amerikanisches Tonaufnahmegerät aus den 1950-er-Jahren, das nicht auf Band, sondern auf einem hauchdünnen Draht aufnimmt.

"Digital-Originale" bieten alle Möglichkeiten

Vor dem Überspielen auf moderne Datenträger werden die Originale umfangreichen Tests unterzogen. Dazu gehören Spurlage, Geschwindigkeit, Spieldauer, eventuell verwendetes Rauschunterdrückungssystem, das Erneuern ausgetrockneter Klebestellen, und vor allem das Ermitteln des Spitzenpegels, denn während der Überspielung wird nicht nachgeregelt und es erfolgt keine Datenkompression. Schliesslich will man das Original ja nicht interpretieren, sondern unverfälscht erhalten. Um die beste Digitalqualität zu erreichen, erfolgt die Überspielung mit 24 Bit linearer Quantisierung und 96 kHz Abtastfrequenz, je nach Kundenwunsch auf grosse Speicher wie Harddisk oder SSD oder auf kleine wie die handlichen USB-Sticks. Diese "Digital-Originale" bieten dann alle Möglichkeiten: Man kann sie verlustfrei auf beliebige andere Datenträger kopieren, CDs fürs Wohnzimmer davon machen oder MP3 fürs Smartphone. Doch was auch immer geschieht: Auch durch noch so häufiges Abspielen oder Kopieren wird sich an der Originalqualität nichts ändern. Sie ist nun zuverlässig und dauerhaft gesichert.

Längst hat sich eines der weltweit bedeutendsten Musikarchive die Mitarbeit von Albrecht Gasteiner gesichert, "um das akustische Erbe der Schweiz zu erhalten". Doch ebenso gerne arbeitet der prominente Tonmeister auch für Privatpersonen, denn Wiederhören macht Freude.

Webcode
DPF8_54476