One-to-One mit Prof. Dr. Thomas Rudoph

Deshalb sollten gewisse Anbieter die Finger von einem Webshop lassen

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Thomas Rudolph ist ordentlicher Professor für Marketing und Internationales Handelsmanagement an der Universität St. Gallen. Er erklärt im Interview, weshalb gewisse CE-Händler besser die Finger von einem eigenen Webshop lassen sollten und wie Anbieter heutzutage ihre Vertriebskanäle verknüpfen können.

Thomas Rudolph, Ordentlicher Professor für Marketing und Internationales Handelsmanagement an der Universität St. Gallen. (Source: zVg)
Thomas Rudolph, Ordentlicher Professor für Marketing und Internationales Handelsmanagement an der Universität St. Gallen. (Source: zVg)

Wo steht der Schweizer Consumer-Electronics-Handel heute?

Thomas Rudolph: Bezüglich Umsatz ist der Schweizer Consumer-Electronics-Handel relativ stabil, auch wenn es zwischen 2019 und 2021 leichte Schwankungen gab und die Pandemie dem Markt etwas Rückenwind verlieh. Trotz Umsatzstabilität ist der Markt aber sehr dynamisch, sowohl im Hinblick auf die Anbieter als auch bezüglich der Produkte. Zudem kommen immer neue Vertriebslinien dazu. Wir sprechen mittlerweile vom Metaverse und virtuellen Handel. Marktteilnehmer müssen daher wachsam sein, sich dieser Dynamik annehmen und Trends – nicht nur hinsichtlich der Produkte – erkennen.

Welches sind die wichtigsten/grössten Entwicklungen, die Sie in den vergangenen zehn Jahren im Schweizer CE-Handel beobachtet haben?

Der Onlinehandel hat sich in den vergangenen zehn Jahren im Vergleich zu den stationären Vertriebskanälen in der CE-Branche sehr stark durchgesetzt. Mittlerweile wird in der Schweiz fast die Hälfte des Ausgabewerts in der CE-Branche online ausgegeben. Ein weiterer Punkt ist die Bedeutung von Preisvergleichsseiten. Wir haben 2021 eine Studie zum Thema Omnichannel-Handel in der DACH-Region durchgeführt. Diese zeigt, dass der wichtigste Kontaktpunkt zu Beginn der Customer Journey in der Schweiz beim Onlineshop des Händlers liegt. An zweiter und dritter Stelle folgen Suchmaschinen respektive das Ladengeschäft. Suchmaschinen haben sich zu wichtigen Informationsquellen und damit auch zu wichtigen Kontaktpunkten in der Customer Journey entwickelt, die das Kaufverhalten stark beeinflussen. Auch Social Media beeinflusst das Kaufverhalten. Dadurch, dass Social Media und Preisvergleichsseiten im CE-Handel an Relevanz gewonnen haben, nimmt die Macht des Händlers, die Kommunikation zu kontrollieren, ab. Das fordert die Player am CE-Markt. Übertreibungen und falsche Versprechungen werden in einem transparenten Markt schnell entlarvt. Eine weitere wichtige Entwicklung der vergangenen Jahre besteht darin, dass viele Hersteller auch Händler geworden sind. Sie versuchen durch digitale Vertriebskanäle ihre Marken und Brands direkt zu verkaufen.

Welche Entwicklungen, die viele erwartet hätten, haben nicht stattgefunden?

Viele hätten nicht erwartet, dass Media Markt erheblich an Marktbedeutung verliert. Besonders nicht nach dem kometenhaften Aufstieg, den Media Markt während seiner ersten Jahre in der Schweiz hinlegte. Dahingegen haben sich Schweizer Anbieter wie Digitec, Microspot, Interdiscount, Melectronics und Brack.ch besser gegen internationale Anbieter durchgesetzt als erwartet und ihre Marktanteile teilweise ausgebaut. Wie rentabel der CE-Handel für die Schweizer Grosskonzerne ist, kann ich nicht beurteilen. Aber es war für sie wichtig, am Markt präsent zu sein. Zudem hat sich der Fachhandel besser geschlagen, als es viele erwartet hätten. Die Anzahl der Fachhändler ging zurück, aber es gibt nach wie vor Fachhändler, die dem Preiskampf durch ihre Servicekompetenz aus dem Weg gehen und sich behaupten.

Kann ein Händler ohne Onlineshop oder Präsenz auf einem Onlinemarktplatz überhaupt noch überleben?

Das hängt von seiner Differenzierungsstrategie ab. Spricht ein Händler eine ältere Zielgruppe an und positioniert sich in erster Linie als Problemlöser und Serviceführer, braucht er keinen Onlineshop oder eine Marktplatzpräsenz. Dem eben beschriebenen Fachhändler als Kleinbetrieb fehlen wahrscheinlich die Kompetenzen und Ressourcen, um einen professionellen Webshop aufzubauen. Er sollte darum besser die Finger von einem Webshop lassen. Komplett ohne Onlinepräsenz wird es heute jedoch schwierig. Konsumentinnen und Konsumenten müssen den Händler zumindest online finden und bestenfalls noch seine Kundenbewertungen einsehen können.

Für wen würde sich denn ein eigener Webshop eignen? Und wer verkauft besser über einen Marktplatz?

Für volumenstarke Anbieter, die eher preisaktiv unterwegs sind und eine jüngere Zielgruppe mit Serviceleistungen ansprechen, kann ein Webshop durchaus Sinn ergeben. Für einen erfolgreichen Webshop braucht es zudem die nötige fachliche Kompetenz und finanzielle Stärke. Ein Marktplatz könnte für Anbieter, die preisorientiert und sehr schlank ohne Serviceleistungen aufgestellt sind, interessant sein. Dabei müsste die Marge auch die vom Marktplatz verlangte Kommission decken. Für einen stationären Händler dürfte es daher nicht leicht sein, auf einem Onlinemarktplatz zu bestehen – ausser er bietet einzigartige Produkte mit guter Marge an.

Grosse Anbieter haben damit begonnen, ihre eigenen Marktplätze zu betreiben. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Als positiv. Diese Entwicklung stellt ein Gegengewicht zu den ausländischen Marktplätzen dar und entspricht dem Kundenwunsch nach Auswahl. Es bestand die Gefahr, dass grosse ausländische Anbieter wie Amazon oder Aliexpress Schweizer Anbieter verdrängen. Die Investments in eigene Marktplätze seitens Schweizer Anbieter haben zumindest geholfen, diese Umsätze in der Schweiz zu halten. Wie rentabel diese Geschäftsmodelle sind, bleibt abzuwarten, da auf Marktplätzen ein sehr intensiver Preiswettbewerb herrscht und die Margen hier in der Schweiz dementsprechend klein ausfallen.

Gerade grössere Händler möchten häufig auf eine Omnichannel-Strategie setzen. Was unterscheidet eine solche von einer Multi- oder Crosschannel-Strategie?

Ich möchte hier kurz ausholen: Zwischen 1989 und 1999 hat sich der sogenannte «Multichannel-Handel» entwickelt. Das heisst, stationäre Händler bauten ein Onlineangebot auf. Diese neue Vertriebslinie war aber in der Regel abgekoppelt vom stationären Geschäft. Zwischen 1999 und 2009 entwickelte sich der Crosschannel-Handel. Man könnte auch Omnichannel dazu sagen, die Unterschiede sind nicht sonderlich relevant. Wichtig ist, dass Händler damit begannen, das stationäre und das Onlinegeschäft miteinander zu verknüpfen und durch die Anknüpfung des Onlinekanals einen Mehrwert zu generieren. Dann, zwischen 2009 und 2019, starteten einige Anbieter ihre Social-Commerce-Aktivitäten. Sie haben entdeckt, dass es möglich ist, Produkte über Influencer und Social Media zu vertreiben. Mittlerweile sind wir schon einen Schritt weiter. Ab 2019 kam der virtuelle Handel auf mit dem Metaverse. Diese Entwicklung ist nicht zu unterschätzen. Im Luxus- und Fashion-Bereich werden heute bereits Produkte wie Handtaschen als NFTs verkauft, die teilweise teurer sind als die physischen Produkte im Laden.

Wie könnte eine Omni- oder eben Crosschannel-Strategie aussehen?

Es geht heute bei einer Omnichannel-Strategie nicht mehr nur da­rum, das stationäre Geschäft mit dem Onlineangebot zu verbinden. Vielmehr dreht sich eine Omnichannel-Strategie um die Frage, welche meiner Vertriebskanäle ich miteinander verknüpfe. Das können auch nur digitale Kanäle sein. Ein Anbieter könnte beispielsweise seinen Webshop mit Angeboten auf einem Marktplatz verknüpfen und dazu entsprechende Social-Media-Aktivitäten betreiben.

Können auch kleine Händler erfolgreiche Omnichannel-Anbieter werden?

Durchaus. Nehmen wir noch einmal das Beispiel des Fachhändlers, der sich als Serviceführer für eine ältere Zielgruppe positioniert. Wenn dieser Fachhändler online gut auffindbar ist und auch seine Serviceleistungen im Internet gut erkennbar sind, er dann aber seine Geschäfte stationär abwickelt, dann ist das durchaus eine erfolgreiche Omnichannel-Strategie.

Die Pandemie hat dem Onlinehandel mit elektronischen Geräten einen ordentlichen Schub verliehen. Kommt jetzt die Durststrecke für CE-Onlinehändler?

Es muss nicht zu einem Dämpfer kommen. Viele Unternehmen behalten zumindest einige Homeoffice-Tage für ihre Mitarbeitenden bei. Das führt dazu, dass Consumer-Electronics-Produkte auch weiterhin gefragt sein werden. Die Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Geräten wird eher steigen, da Arbeitnehmende auch zuhause eine gute Ausstattung brauchen. Nun könnte man sagen, wenn alle eingedeckt sind, geht die Nachfrage stark zurück. Ob das der Fall sein wird, hängt aber auch stark von den Innovationen innerhalb der nächsten Jahre ab. Wenn sich beispielsweise Virtual-Reality-Anwendungen für Freizeit und/oder den Berufsalltag durchsetzen, entsteht hier ein ganz neuer Markt. Bei den Bildschirmtechnologien sprechen wir bereits von 8k. Gute Innovationen führen dazu, dass der Markt wächst. Daher bin ich eher zuversichtlich.

Beim Interview vor rund neun Jahren haben Sie die Frage, ob es den klassischen Radio- und TV-Handel noch brauche, mit ja beantwortet. Wie sehen Sie das heute?

Heute muss man sich überlegen, ob man es beim Radio- und TV-Handel belässt. Gerade junge Leute nutzen andere Formate wie Streamingservices und konsumieren kaum oder keine Radio- oder TV-Inhalte mehr. Es gibt aber viele andere Kategorien, die ein Fachhändler noch bedienen könnte. Der Fachhändler, der sich nicht nur auf den Verkauf von Radios und TV-Geräten beschränkt, hat nach wie vor eine grosse Bedeutung. Sucht der Kunde einen exzellenten Service, möchte ein Produkt montieren und anschliessen lassen, sowie einen Reparaturservice, dann ist er beim Fachhändler richtig. Kunden, die lieber einen solchen Service anstelle des billigsten Produkts wollen, wird es auch in Zukunft geben.

Wie wird sich der Schweizer Elektronikhandel kurz- bis mittelfristig entwickeln?

Es wird weiterhin eine hohe Dynamik am Markt geben. Frühes Erkennen und gutes Einschätzen von neuen Chancen wird aufgrund der hohen Dynamik auch künftig erfolgsentscheidend sein. Das Wachstumspotenzial sehe ich insgesamt als positiv. Es gibt einige interessante technologische Entwicklungen, die sich durchsetzen könnten – Virtual und Augmented Reality, verbesserte Bildauflösungen, leistungsfähigere Mobiltelefone etc. In allen Bereichen findet Fortschritt statt, der für Marktwachstum sorgt. Zudem leben wir in einer Gesellschaft, die sehr technologieaffin ist. Allerdings gibt es durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine auch Konsumenten, die den Gürtel enger schnallen und sparen müssen. Der Trend ist im Moment aber noch verhalten. Meine Einschätzung beruht auf der Annahme, dass die Welt nicht aus den Fugen gerät. Falls uns die Pandemie jahrelang immer wieder zum Lockdown zwingt und der Ukraine-Krieg längerfristige Auswirkungen – auch auf unsere Nachbarländer – haben wird, sehen die Aussichten natürlich weniger rosig aus.

persönlich

Thomas Rudolph studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Er forscht und lehrt als Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre und Marketing seit dem Jahr 2000 an der Universität St. Gallen. 2006 gründete er am Institut für Marketing und Handel das sogenannte Retail-Lab, ein Partnerschaftsprogramm zwischen der Universität St. Gallen und mehreren internationalen Handelsunternehmen. Seit 2009 leitet er als Direktor das Forschungszentrum für Handelsmanagement an der Universität St. Gallen. Er und sein Forschungsteam widmen sich Fragestellungen zum Kauf- und Konsumverhalten, digitalem Marketing, E-Commerce sowie strategischem ­Handelsmanagement. (Source: Universität St. Gallen)

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