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"Ans Smartphone glauben wir nicht"

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Lächeln für einen Kaffee: Die Schlieremer Digitalstrom hat an der IFA neue Smarthome-Lösungen vorgestellt. CEO Martin Vesper erklärt die Trends beim Smarthome.

Martin Vesper, CEO von Digitalstrom. (Quelle: Digitalstrom)
Martin Vesper, CEO von Digitalstrom. (Quelle: Digitalstrom)

Wie kam es zu Digitalstrom?

Martin Vesper: Gegründet wurde Digitalstrom 2004 als Aizo AG im deutschen Wetzlar. Gründer waren die Erfinder Wilfried Beck und Ludger Hovestadt. Sie hatten die Idee, elektrischen Geräten auf günstige und ergonomische Art und Weise eine eigene Intelligenz zu geben und sie miteinander zu vernetzen. Nach siebenjähriger Entwicklungsphase folgte 2011 der Markteintritt mit Digitalstrom. Im Januar 2014 haben wir die Aizo AG in die Digitalstrom AG umfirmiert, damit Unternehmen, Marke und Produkt kommunikativ aus einem Guss kommen. Auch in Hinblick auf die fortschreitende Internationalisierung unseres Unternehmens.

Sie sind seit Marktstart CEO von Digitalstrom. Was ist seither passiert?

Der Kern von Digitalstrom war die Entwicklung der Lüsterklemme für die Vernetzung aller Geräte im Haus. Dann galt es, die Geräte zu integrieren, die bereits vernetzungsfähig sind, etwa eine Audiolösung von Sonos oder die Philips-Hue-­Leuchten. Im nächsten Schritt kamen Anwendungen wie die Sprachsteuerung, der Hagelwarner Service und Ähnliches hinzu. Zuletzt wurden weitere Hardwarekomponenten entwickelt, um noch speziellere Anwendungen abzubilden, wie letztes Jahr die Heizung. Man muss bedenken, dass das Konzept hinter Digitalstrom aus dem Jahr 2004 stammt. Das war vor Facebook, Google und den Smartphones. Wir passen unser Produkt den immer neuen Gegebenheiten des Marktes stetig an.

Wieso hat Digitalstrom seinen Hauptsitz in Schlieren?

Nachdem die Aizo AG in Deutschland gegründet worden war, Professor Hovestadt aber an der ETH Zürich lehrte und unser Hauptaktionär Balz Halter aktiv in das Unternehmen eintrat, wurde der Unternehmenshauptsitz nach Schlieren verlegt. Unser Standort in Wetzlar ist heute ein reiner Entwicklungsstandort. An unserem Unternehmenssitz in Schlieren sind neben den technischen Entwicklungen wie das Chipdesign und Software auch Vertrieb, Marketing , Beschaffung sowie alle zentralen Funktionen angesiedelt. Wir sind ein deutsch-schweizerisches Unternehmen.

Digitalstrom ist vergangenes Jahr um 100 Prozent gewachsen. Liegt das an Digitalstrom oder an der grossen Nachfrage nach Smart-Home-Lösungen?

Das Wachstum ist das Ergebnis unserer Aktivitäten. Zuerst sammelten wir Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz und haben dann mit der Internationalisierung begonnen: Zuerst weiteten wir unsere Aktivitäten nach Österreich aus und sind seit Anfang 2015 nun auch in den Niederlanden aktiv. In diesen Märkten ist die Digitalstrom selbst mit Vertrieb, Marketing, PR und weiteren Massnahmen aktiv, um unsere Partner vor Ort zu unterstützen. Wir arbeiten darüber hinaus mit Distributoren in weiteren Ländern zusammen. Unsere Kunden sind sehr zufrieden, weil sie den Mehrwert erkennen, den unsere funktionierende Komplettvernetzung im Haus bringt.

Schuf Digitalstrom deshalb im März die Stelle des Chief Operating Officer, die man mit Thomas Lechner besetzte?

Ja, irgendwann kommt man an den Punkt, an dem Wachstum bestimmte Prozesse erfordert. Bei Internationalisierungen braucht es eine Struktur. Thomas Lechner verantwortet neben dem operativen Geschäft auch den Schweizer Vertrieb.

Wie gross ist denn die Nachfrage nach Smarthome-­Lösungen?

Das Interesse der Kunden wächst permanent. Dabei ist es wichtig, ihnen die Möglichkeiten eines Smarthomes zu zeigen. Deshalb sind wir auf Messen wie der IFA oder der Swissbau sowie online präsent und haben darüber hinaus auch einen Showroom. Hier kann man Digitalstrom live erleben. Vor drei Jahren fragten sich die Leute an Messen noch, ob die Welt Smarthome-Technologien braucht. Heute wissen viele Kunden schon deutlich mehr über das vernetzte Zuhause und zeigen Interesse an den verschiedenen Anwendungen.

Wie erklären Sie sich das wachsende Interesse?

Immer mehr Geräte sind vernetzungsfähig. Das merken auch die Kunden und erleben es auf Messen. Wenn wir von Vernetzung sprechen, dann geht es nicht mehr nur um eine Lampe, die sich über das Smartphone bedienen lässt. Heute sind wir viel weiter. An unserem Stand auf der IFA zeigten wir erstmals höhenverstellbare, vernetzte Küchen. Die Besucher waren begeistert, weil sie erkennen, wie praktisch solche Lösungen sind. Keiner verliess unseren Stand, ohne so etwas für sein Zuhause zu wollen. Die Besucher haben verstanden, dass Vernetzung sinnvoll ist.

Was sind das für Leute?

Da war beispielsweise ein englisches Rentnerpaar, das sich für die höhenverstellbare Küche interessierte. Sie sahen die Chance, dank dieser Lösung noch etwas länger zuhause wohnen zu können. Viele Besucher waren zwischen 50 und 60 Jahre, in diesem Alter schafft man sich vielleicht das letzte Mal eine Küche an. Diese Kunden wünschen sich Komfort sowie Spass und haben mit der Vernetzung vorgesorgt, falls sie im Alter darauf angewiesen sind. Aber grundsätzlich ist unsere Kundschaft vielfältig – vom Bauherr grosser Projekte über den Eigenheimbesitzer bis zum Mieter.

Was wollten die IFA-Besucher von Ihnen wissen?

Zuerst einmal erklären wir, wie das System funktioniert. Die meisten Besucher wollten sich vergewissern, dass man bei Digitalstrom wirklich keine neuen Leitungen legen muss. Dann ging es darum, was man mit der Lösung machen kann. Wir zeigten ihnen von der Beleuchtung über die Beschattung, der Integration von Audiolösungen bis hin zur Türsprecheinrichtung was es sonst so alles gibt und welches Potenzial das System jetzt und in Zukunft birgt.

Was war Ihr persönliches IFA-Highlight von Digitalstrom?

Das war einmal Amazon Echo – ein intelligenter Lautsprecher, der Fragen in einem gewissen Kontext versteht. Wir haben Echo ins Digitalstrom-System integriert, so kann ich frei sprechen und mitteilen, dass er meinen Lieblingsradiosender einschalten oder das Licht anmachen soll. Aber Digitalstrom deckt so viel im Haus ab, dass es heute noch schwierig ist, weitere Befehle dem Kontext zuzuordnen. Wir arbeiten daran.

Wird sich die sprachgesteuerte Bedienung durchsetzen?

Ja. Ans Smartphone glauben wir hingegen nicht, besonders in der Küche ist man ja immer irgendwie beschäftigt. Das Smartphone eignet sich hier nicht primär, vor allem hat man in der Küche keine Hand frei oder man möchte aus hygienischen Gründen kein Touchpad bedienen – oder beides. Ein weiteres Highlight bei uns an der IFA war der «Smile for Coffee»-­Showcase mit der Intel-Realsense–Technologie. Diese erkennt Hände, Gesichter, Bewegungen und auch die Mimik und wandelt dies dank der Vernetzung in Befehle für das smarte Zuhause um. Daraus ergeben sich verschiedenste Anwendungsmöglichkeiten. Ausgelöst durch ein Lächeln erhielten unsere Gäste am Stand einen Kaffee ausgeschenkt. Dafür ist die Bedienung über den Taster unschlagbar schnell.

Das Smarthome war eines der dominierenden Themen an der IFA. Was ist Ihnen an der Messe aufgefallen?

Das vernetzte Zuhause ist ein starkes Thema, weil es auch sehr von den Herstellern getrieben ist und viele von ihnen diesen Bereich besetzen wollen. Wenn die Gerätehersteller ihre Schnittstellen zugänglich machen, hilft uns das natürlich. Das schafft Bedarf bei den Konsumenten, weil selbst Teekocher heute digital sind. Wir sahen viele Geräte, die sich übers Smartphone steuern lassen. Hier wird sich einiges durchsetzen. Die meisten Vernetzungslösungen, die es auf der IFA zu sehen gab, sind keine komplett übergreifenden Systeme, wie wir eines anbieten, sondern sie decken eher Teil­aspekte ab, die entweder die Sicherheit, die Küche oder Ähnliches betreffen. Da sind wir immer noch allein unterwegs.

Wieso sind sie immer noch allein?

Hinter Komplettlösungen steckt eine Menge Arbeit. Die einfache Bedienung, die Zuverlässigkeit, die kleinen Bauteile, das alles lässt sich nicht so leicht nachbauen. Viele Anbieter scheuen das Handwerk und setzen auf Funk­lösungen. Aber ich benötige eine vernünftige Infrastruktur, wenn ich mehr als nur einen Anwendungsfall umsetzen möchte. Zudem ist die Vermarktung einer Infrastruktur viel schwieriger als die eines Produkts. Wir spüren, dass unser Engagement vom Kunden honoriert wird.

Laut GfK ist das Smarthome noch nicht beim Kunden angekommen. Was braucht es zum Durchbruch?

Es ist wichtig, dass es ein breites Angebot an Anwendungen gibt und sich diese nahtlos – quasi natürlich – in den Alltag einfügen. Vielen Kunden wird nun bewusst, welches Potenzial die Vernetzung mit sich bringt und wohin es sich entwickeln wird. Die Tatsache, dass Sie mit ihrem Haus «sprechen» und Küchen höhenverstellbar sein können, gibt dem Thema einen weiteren Schub. Viele Menschen haben natürlich Angst vor einer Fehlentscheidung, aber mit Digitalstrom sind sie für die Zukunft gerüstet.

Für breitere Anwendungen wird aber oft ein fehlender Kommunikationsstandard bemängelt. Was würde es für Digitalstrom bedeuten, wenn sich die Anbieter von Smarthome-Geräten und Lösungen auf einen gemeinsamen Standard einigen?

Die Standards sind bereits da. Wir glauben an zwei Infrastrukturen im Haus: das IP- und das Stromnetz. Das Stromnetz hat weltweit drei Standards. Damit können wir eine Menge abdecken und sind deswegen in der Lage, fast alle Geräte zu integrieren. Bei Audio- oder Multimedia-Geräten mit IP-Standards wird es keinen einheitlichen Standard geben. Dafür sind die Produkte zu vielfältig. Im Haus selbst haben Geräte teils grosse Austauschzyklen und verweilen für eine lange Zeit im Haus, ehe neue angeschafft werden.

Welchen Standard will der Nutzer?

Er will sich nicht für ein bestimmtes Gerät entscheiden müssen, nur weil er ein System ausgewählt hat. Das funktioniert nicht. Da stellen wir uns auf unterschiedlichste Standards ein und unterstützen auch andere Übertragungstechniken wie etwa Funk. Grundsätzlich sollten alle Geräte im Haus verdrahtet sein (auch und insbesondere IP-Geräte), das sorgt für eine hohe Stabilität. Digitalstrom vernetzt alle Geräte herstellerunabhängig. Nur so können wir eine komplette Vernetzungslösung anbieten.

Ein allgemeingültiger Standard für vernetzte Geräte wird also nicht so schnell kommen?

Ich glaube nicht, dass es einen Standard für das vernetzte Zuhause geben wird. Das muss auch nicht sein. In der Computerwelt gibt es heute ja auch unterschiedlichste Standards. In einem Haus kommen viele Anwendungsfelder und Gerätetypen unterschiedlichsten Alters zusammen, wir sprechen hier über eine Zeitspanne von 15 bis 20 Jahren zwischen dem ältesten und dem jüngsten Gerät. Das muss abgedeckt sein. Ich glaube ich nicht, dass ein Standard das leisten kann.

Was wünschen Sie sich stattdessen von der Branche?

Je mehr Hersteller Geräte mit offenen Schnittstellen anbieten, umso schneller können diese in bestehende Lösungen integriert und damit die Entwicklung beschleunigt werden, was wiederum neue Use Cases zur Folge hat. Das haben leider nicht alle Hersteller verstanden.

Offene Schnittstellen sind also noch nicht die Regel?

Nein, noch nicht. Allerdings zeichnet sich hier eine positive Entwicklung ab, so kündigte etwa Samsung an, die Schnittstellen der Geräte offenlegen zu wollen, aber das müssen wir noch abwarten.

Die Schweiz ist einer der Kernmärkte von Digitalstrom. Wie weit ist die Entwicklung in der Schweiz?

Die Bekanntheit von Digitalstrom steigt, wir haben immer mehr Partner. Mehrere hundert Fachhandelspartner und zirka 15 Experts. Diese beschäftigen sich intensiv mit dem Digitalstrom-Konzept, haben einen Showroom, viel Erfahrung und werden intensiv von uns betreut. Auf der Grosshandelsseite sind wir bei fünf Grossen dabei. Wenn ein Endkunde sich für Digitalstrom entscheidet und schon einen Elektriker hat, dann begleiten wir diesen beim Projekt. Seit kurzem arbeiten wir auch mit Architekten und Planern an grösseren Überbauungen.

Was ist dabei anders?

Wir müssen ein Verständnis beim Kunden schaffen, dass er seine Wohnungen für das digitale Leben zur Verfügung stellt. Ein Haus beziehungsweise eine Wohnung muss über die nötige Infrastruktur verfügen. Dazu zählt auch ein vorinstalliertes WLAN. Die Zusammenhänge sind rein digital, damit der Vermieter entsprechend flexibel ist. So kann er sich individuell auf den Mieter einstellen.

Wie verläuft die Zusammenarbeit mit dem Fachhandel?

Wir achten verstärkt auf Qualität statt auf eine generelle Abdeckung. Die Kunden wollen einen Ansprechpartner, der kompetent berät und installiert. Dann sind andere Dinge wie die Anreise nicht so wichtig. Es soll funktionieren. Das fängt schon bei LED-Leuchten an. Will der Kunde wissen, ob sie dimmbar sind, stellen wir eine Datenbank zur Verfügung, wo fast alle LEDs ausgemessen sind. So können unsere Partner ihre Kunden kompetent beraten.

Was fällt Ihnen auf bei der Zusammenarbeit mit dem CE-Fachhandel?

Ich frage mich, ob er verstanden hat, dass CE-Produkte zusammenwachsen. Es ist noch nicht jedem klar, dass das Haus digital wird. Wenn ich als CE-Fachhändler den nächsten Schritt gehe, dann beherrsche ich kleine Computer wie unsere Lüsterklemmen. Der CE-Handel ist damit eher gross geworden als der Hauselektriker. Deshalb hat er auch so gute Skills, um etwa Audiolösungen wie die von Sonos zu verkaufen. Jedes Unternehmen muss sich entscheiden, ob es nur Infrastruktur, nur Geräte oder komplette Lösungen anbieten will. Oder man sucht Partner. Die Bedienung des Smarthomes ist einfach, es ist aber ein technisch komplexes Produkt.

Bieten Sie Schulungen für Ihre Partner?

Ja, auch weiterführende Schulungen, in denen es um die Einbindung von CE-Geräten geht. Es gibt aber auch User Groups auf Facebook und Blogger, denen man Fragen stellen kann. Da entwickelt sich eine Community. Die Ausbildung findet zunehmend online statt. Der klassische Frontalunterricht ergibt an vielen Stellen keinen Sinn, weil es so viel zu lernen gibt, dass man das Gelernte bei konkreten Projekten wieder vergessen hat.

Was bietet das neue Planungstool "Digitalstrom terminal"?

Das Tool wurde von Alexander Bürkle, einem deutschen Elektrogrosshändler, entwickelt. Er wollte seine Kunden, vor allem Elektroinstallateure, die Planung erleichtern. Die Idee dahinter ist es, den kompletten Prozess von der Planung bis zur Inbetriebnahme digital zu unterstützen. Die Idee fanden wir so gut, dass wir sie für unsere Schweizer Partner angepasst und auf den Schweizer Markt adaptiert haben. Der Partner erhält ein Pflichtenheft, eine Geräteliste und baut so das Digitalstrom-System einfach ein. So kann eine automatische Inbetriebnahme erfolgen. Das bedeutet, dass etwa Räume und Leuchten bereits vorkonfiguriert sind. Vernetzung bedeutet Veränderung, das gilt nicht nur für das Produkt, sondern auch für die Prozesse darum herum.

Persönlich

Martin Vesper ist seit 2011 CEO von Digitalstrom. Das Unternehmen kannte er bereits als Geschäftsführer von Yello Strom, wo er ab 2001 an der Spitze war. Vesper war daneben auch Bereichsvorstand B2C-Operations bei der EnB Energie Baden-Württemberg. Er schloss ein Studium der Wirtschaftsmathematik an der Universität Ulm ab und hat einen MBA der University of Illinois in Chicago.

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