Interview

Was Francesco Vass mit Ricardo.ch plant

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Francesco Vass ist seit Jahresbeginn neuer CEO von Ricardo.ch. Er kam von Tutti.ch, wie Ricardo eine Tamedia-Tochter. Im Interview spricht er über die Zukunft des Marktplatzes.

Francesco Vass, CEO von Ricardo.ch. (Source: zVg)
Francesco Vass, CEO von Ricardo.ch. (Source: zVg)

Sie sind seit Jahresbeginn neuer CEO von Ricardo.ch. ­Welche Ziele haben Sie mit dem Internetauktionshaus?

Francesco Vass: Mein Ziel ist es, den Wachstumskurs von Ricardo.ch weiter voranzutreiben. Das will ich erreichen, indem wir die Nutzer wieder in den Fokus rücken, und zwar alle Nutzer, private und gewerbliche, Käufer und Verkäufer. In den letzten Jahren rückte der Endnutzer durch die Besitzer-, Management-, und Strategiewechsel bei Ricardo.ch zwischendurch etwas in den Hintergrund. Das wollen wir ändern.

Wie soll das gelingen?

Wir bauen seit einigen Monaten unseren Marktplatz wieder komplett von null mit aktuellen Programmiersprachen um, werden frischer und moderner. In der jetzigen Aufbauphase sind die Funktionalitäten noch dieselben wie früher. Aber in ein paar Monaten werden wir etwa die Zahlungsmodalitäten verbessert haben. Heute ist der Zahlungsprozess nach einer Auktion noch zu aufwändig.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Die Nutzer erwarten heute von E-Commerce-Plattformen, dass die Logistikabwicklung immer schneller und bequemer wird. Da haben wir Nachholbedarf. Wir wollen auf dieselbe Stufe unserer Mitbewerber kommen. Ausserdem will ich unsere Mitarbeiter fördern. Ich will ihnen die bestmögliche Arbeitsumgebung bieten, damit sie die beste Leistung erbringen können. Das gelingt, indem wir Transparenz, Vertrauen und Ermächtigung der Mitarbeiter fördern. Wichtig ist die gute Zusammenarbeit. Mitarbeiter sind unser wichtigstes Asset.

Wollen Sie die Mitarbeiterzahl von Ricardo.ch ausbauen?

Wir haben derzeit keine solchen Pläne. Rund 150 Mitarbeiter an unseren drei Standorten Zug, Valbonne und neu auch ein Entwicklerteam in Serbien sind eine gute Basis.

Was macht Ricardo.ch in Serbien?

Wir haben dort in Zusammenarbeit mit anderen Tamedia-Unternehmen ein kleines Engineering Center für Software­entwickler aufgebaut. Überall werden Talente vor allem im Software-Entwicklungsbereich gesucht, und in Serbien gibt es viele davon. Sie arbeiten gemeinsam mit den jeweils zuständigen Unternehmensteams an Projekten.

Wie lief das vergangene Jahr für Ricardo.ch?

Es war ziemlich stabil. Manche Kennzahlen sind gestiegen, aber ich möchte, dass wir überall wachsen.

Wie war der Umsatz im vergangenen Jahr?

Der Umsatz ging leicht zurück, Ricardo.ch ist aber nach wie vor profitabel. Wir wollen den Umsatz wieder steigern. Dafür haben wir im vergangenen Jahr viel in den Umbau der Website investiert.

Wie verlief die Integration von Ricardoshops.ch in Ricardo.ch?

Das schlossen wir Ende 2016 ab, das war vor meiner Zeit bei Ricardo.ch. Die Kunden haben es gut aufgenommen. Es gab nur wenige negative Reaktionen, weil viele Verkäufer damals schon gleichzeitig auf Ricardo.ch tätig waren oder ihre Angebote zu uns migriert haben. Die Idee war, dass alle E-Commerce-Aktivitäten auf einer Plattform gebündelt sind, sodass die Kunden nicht mehr hin- und herspringen müssen.

Wie stark wurde die Mitarbeiterzahl durch den Zusammenschluss reduziert?

Das Team wurde nicht verkleinert. Die Mitarbeiter von Ricardoshops.ch wurden in andere Bereiche von Ricardo.ch integriert.

Welche Bedeutung hat der Marktplatz des ehemaligen ­Ricardoshops.ch für Ricardo.ch?

Eine sehr zentrale. Wir brauchen sowohl die privaten wie auch die professionellen Verkäufer. Es ist unsere Aufgabe, Angebot und Nachfrage aufeinander abzustimmen. Dies optimieren wir ständig.

Wie unterstützen Sie Ihre Handelspartner?

Wir bieten einiges; etwa Webinare zur Verkaufsförderung, Styleguides und Tipps, automatisierte Anbindungen fürs Inserieren der Artikel oder den Ricardo.ch-Assistenten, der bei der Sortimentsverwaltung hilft. Ausserdem bieten wir Händlern die Suchanalysen unserer Kunden an und weisen sie so auf Sortimentspotenziale hin. Nicht zu vergessen unser eigener Kundenservice. Sehr interessant ist auch die Kombination von offline und online. In der Landwirtschaftsindustrie unterstützen wir etwa gewisse Verkäufer vor Ort. Das bieten wir bisher nur für gewisse Kategorien an, aber ich könnte mir vorstellen, dass wir die Off- und Onlineangebote erweitern.

Gelten diese Angebote für grosse und kleine Handelspartner?

Ja, wir bieten sie allen gewerblichen Anbietern an, die das auch wünschen.

Was raten Sie Händlern, wenn sie über Ricardo.ch verkaufen?

Auf Ricardo.ch haben Händler von Beginn an Zugang zu einer grossen potenziellen Kundenbasis von über 3 Millionen Mitgliedern und täglich etwa 360 000 Besuchern. Es gibt keinen einfacheren Weg, um zu testen, wie Artikel beim Kunden ankommen. Ausserdem lassen sich auf ­Ricardo.ch Marktpreise ermitteln. Und das bei minimalen Kosten und ohne Vertragsunterzeichnung. Händler sollen das Auktionsformat auch nutzen, um Lagerplatz zu schaffen. Ich empfehle, zu Beginn eher tiefpreisige Artikel einzustellen. So erhalten Händler schneller Bewertungen und gewinnen das Vertrauen der Kunden.

Wie reagieren Sie auf das Auftauchen von internationalen Wettbewerbern wie Amazon oder Aliexpress?

Ein Freund von mir bestellte kürzlich auf Wish Airpod-Kopien für 13 US-Dollar und erhielt nach sechs Wochen nur einen Airpod, der auch noch deutlich grösser als das Original war. Er wusste nicht, dass die Kopfhörer einzeln verkauft werden und musste nochmals sechs Wochen auf den zweiten Airpod warten. Wir fragen uns immer, worauf der Kunde beim Einkauf achtet. Ist es der Preis, die Qualität, der Support oder die Garantie? Bei den meisten ist es wohl eine Kombination aller Faktoren. Aber ein gewisses Segment achtet nur auf den Preis. Das muss man akzeptieren, wir können nicht den kompletten Markt zufriedenstellen. Wir konzentrieren uns auf unsere Stärken wie Sicherheit sowie eine schnelle Lieferung und Verfügbarkeit der Produkte. Ausserdem steht unser Kundendienst von Montag bis Freitag von 8.00 Uhr bis 22.00 Uhr und am Wochenende bis 18.00 Uhr zur Verfügung. Das gibt es bei vielen anderen Anbietern nicht.

Haben Sie Expansionspläne?

Nein, unser Fokus liegt auf dem Schweizer Markt. Wo wir in zehn Jahren sein werden, kann ich nicht sagen, aber in nächster Zukunft konzentrieren wir uns auf die Schweiz.

Was bedeutet der Einstieg von Digitec Galaxus ins ­Occasionsgeschäft für Ricardo.ch?

Die Händler haben wie die Konsumenten Bedürfnisse, die gewisse Marktplätze erfüllen. Bei Tutti.ch ist der Aufwand für Inserate gering, aber dafür ist die Abwicklung des Verkaufs aufwändiger. Bei Digitec Galaxus ist die Abwicklung sehr einfach, dafür kann ich nur Gegenstände verkaufen, die ich bereits auf der Plattform gekauft habe. Ausserdem sind die Verkaufsgebühren ziemlich hoch. Wir sind in der Mitte, bieten eine einfachere Verkaufsmöglichkeit als Gratiskleinanzeigenplattformen und sind günstiger als eine fast vollautomatisierte Plattform wie Digitec Galaxus. Aus­serdem bieten wir ein viel breiteres Sortiment als ein Onlinewarenhaus mit Produkten, die es im Handel nicht mehr gibt. Es gibt fast alles auf Ricardo.ch, solange es rechtlich zulässig ist.

Wie kontrollieren Sie, dass die angebotene Ware rechtlich zulässig ist?

Auf zwei Arten. Algorithmen prüfen die Angebote auf gewisse Stichwörter und anstössige Inhalte, unser Team überprüft gleichzeitig aktiv laufend die Angebote. Ausserdem kontrolliert unser Kundendienst auch die Hinweise unserer Kunden. Weil wir viele Nutzer haben, die praktisch ständig auf der Plattform sind und uns Verstösse melden, können wir bei Regelwidrigkeiten sehr schnell reagieren.

Wie häufig müssen Sie Auktionen unterbinden?

Relativ häufig, aber der Anteil liegt unter einem Prozent aller Angebote.

Wie verhindern Sie Fälschungen?

Dieses Thema beschäftigte mich schon bei Tutti.ch. Ein dediziertes Fraud-Team von Ricardo.ch steht mit verschiedenen Markenherstellern in Kontakt, um das Sortiment zu prüfen. Optimal wäre, wenn wir mit Algorithmen anhand der Bilder entscheiden könnten, ob es sich bei einem Produkt um eine Fälschung handelt. Aber ich glaube, so weit ist noch niemand. Es gibt trotzdem andere Möglichkeiten, die wir durch automatische Prozesse einführen könnten wie das Verlangen eines Kaufbelegs. Aber noch ist nichts geplant.

Warum wird Tutti.ch.ch nicht in Ricardo.ch.ch integriert?

Warum sollten wir die beiden Plattformen integrieren? Tutti.ch und Ricardo.ch decken verschiedene Kundenbedürfnisse ab. Wir überlegen uns aktiv, ob wir in Zukunft alle Bedürfnisse auf einer Plattform mit einem Produkt befriedigen könnten, wissen es heute aber noch nicht.

Nutzen Sie Synergien?

Ja, wir nutzen Synergien im Marketing- und Technologiebereich. Im Moment betreiben wir die technischen Plattformen aber weiterhin separat.

Wie hat sich Ricardo.ch durch die Übernahme von Tamedia verändert?

Bis 2015 war Ricardo.ch Teil der südafrikanischen Medien- und Internetgruppe Naspers. Mit der Zugehörigkeit zu Tamedia gewinnt Ricardo.ch einerseits an Fokus auf den Schweizer Markt; andererseits profitiert der Marktplatz von der grossen Reichweite der Tamedia-Medien und den damit verbundenen Werbemöglichkeiten.

Wieso ist Ricardo.ch nicht in Zürich bei Tamedia?

Wir führen eine enge Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen wie Finanzen, Kommunikation und HR mit Tamedia. Die Distanz von Zug nach Zürich ist kein Problem, ausserdem fühlen sich Videokonferenzen an, als wenn man im selben Raum wäre. Deshalb ist die physische Barriere heute kein Hindernis für eine gute Zusammenarbeit.

Kaufen Sie auch auf Ricardo.ch ein und haben Sie eine Bieterstrategie bei Auktionen?

Ich bin natürlich auf Ricardo.ch aktiv und habe meine eigene Bieterstrategie. Ich biete am Anfang einer Auktion, damit ich über den Verlauf benachrichtigt werde, und am Ende. Dabei hoffe ich, dass die anderen Bieter den Abschluss der Auktion verpassen und nicht zuschlagen.

Verkaufen Sie auch auf Ricardo.ch?

Ja, erst letzte Woche habe ich erfolgreich einen Glastisch und eine Stehleuchte verkauft, die ich nicht mehr brauchte. Ich habe sie zum Minimumpreis eingestellt und einen vernünftigen Endpreis erzielt. Die Käufer kamen vorbei und holten die Ware ab, das lief einwandfrei.

Geben Sie sich bei solchen Treffen als Ricardo.ch-CEO zu erkennen?

Ab und zu. Ich sage aber immer, dass ich bei Ricardo.ch arbeite und frage, wie sie mit der Plattform zufrieden sind.

Wie ist das Fazit?

Die langjährigen Ricardo.ch-Nutzer sind meist zufrieden und haben keine grossen Verbesserungsvorschläge. Andere hätten gerne eine schlankere Plattform und geben Tipps, was wir besser als die Konkurrenz machen können.

Welchen Anteil haben die Gebühren für Auktionen mit dem Minimumpreis am Gesamtumsatz?

Wir haben sehr viele tiefpreisige Gegenstände, die kleinen Gebühren führen zu guten Umsätzen. Ricardo.ch soll ein Marktplatz für alle Gegenstände sein, egal ob tief- oder hochpreisig.

Planen Sie eine Limite für Liefergebühren, damit Händler nicht den Lieferpreis in die Höhe treiben und den Verkaufspreis tief halten, um Gebühren zu sparen?

Die Problematik, dass gewisse Händler so die Gebühren umgehen, ist uns bekannt. Aber es sind nicht viele Händler und wir stehen in Kontakt mit ihnen. Wir möchten keine Limite und damit alle anderen Händler bestrafen. In Zukunft könnten wir für gewisse Gegenstände Standards einführen, aber das müsste nutzerfreundlich geschehen.

Welchen Einfluss hat die zunehmende Digitalisierung in Ihrem Unternehmen?

Wir kennen nichts anderes als digital. Das Angebot von Ricardo.ch ist seit Beginn vor 18 Jahren rein digital. Deshalb haben wir auch immer Mitarbeiter gesucht, die digital fit sind. Von daher müssen wir sie auch nicht durch einen Digitalprozess begleiten.

Haben Sie digital versierte Mitarbeiter in der Schweiz gefunden oder mussten Sie international suchen?

Wir haben bei Ricardo.ch 25 verschiedene Nationalitäten, daher sind wir sehr international aufgestellt. Unsere Herausforderung bei der Digitalisierung ist, dass die Nutzer digitaler werden. Laut Statistiken gibt es durchschnittlich 230 unbenutzte Objekte in jedem Schweizer Haushalt. Es wäre toll, wenn alle schon ein digitales Inventar ihrer Objekte zuhause hätten. Wenn sie etwas verkaufen wollen, müssten sie dann nur noch einen Knopf drücken. Wir arbeiten an Ideen, um das Inventar vereinfachen zu können, so könnten die Nutzer in Zukunft etwa per Smartphonekamera Objekte bequem erfassen.

Welche Rolle spielen agile Methoden für Ricardo.ch?

Wir wenden seit längerer Zeit agile Methoden in der Softwareentwicklung an. Wir sind mittlerweile aber auch in anderen Prozessen der Firma agil. Wenn wir neue Prozesse einführen, dann mit einer ersten Version, wir schauen, wie es ankommt und bringen eine verbesserte Version. Wir arbeiten iterativ.

Wann sind die Peaks bei Ricardo.ch?

Die Saisonalität ist ähnlich wie im Handel. Zudem merken wir den Frühlingsputz, wo viele ihre unbenutzten Gegenstände loswerden möchten und gleichzeitig neue Objekte für den Sommer kaufen. Und im Herbst passiert ähnliches. Ausserdem ist das Weihnachtsgeschäft für uns sehr wichtig.

Wie verhindern Sie eine Überlastung des Systems?

Indem derzeit ein Grossteil unserer Infrastruktur Richtung Cloud migriert wird. Dadurch sind wir in der Lage, die eigene Infrastruktur per Knopfdruck hochzuskalieren. Wir haben keine grossen Peaks von einem auf den anderen Tag, sodass die Kapazität massiv erhöht werden müsste.

Geschieht die Cloud-Migration in Zusammenarbeit mit Tamedia?

Sie geschieht im Austausch mit Tamedia. Wir dokumentieren und teilen natürlich unser Vorgehen, damit die anderen Tamedia-Unternehmen davon profitieren können. Aber die Entwicklung findet bei Ricardo.ch statt.

Persönlich

Francesco Vass ist seit Januar 2018 CEO von Ricardo.ch. Er wechselte von Tutti.ch zum Onlinemarktplatz. Unter seiner Leitung hat sich Tutti.ch als führende Kleinanzeigen-Plattform der Schweiz etabliert. Zuvor baute der gebürtige Tessiner als Vice President, Marketing & Content gemeinsam mit den Gründern den TV-Streamingdienst Zattoo auf und arbeitete unter anderem als Berater bei McKinsey & Company. Der 43-Jährige ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

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