Netflix expandiert

Schritt für Schritt zur Weltvideothek

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5,5 Millionen neue Abonnenten, 130 zusätzliche Länder: Netflix setzt ganz auf Wachstum. Dass personalisiertes Entertainment ankommt, wissen aber auch die Schweizer Streaming-Anbieter.

Egal ob Fernseher, Laptop oder Smartphone: Wo auch immer Menschen ihre Lieblingsserien konsumieren, es führt kaum ein Weg an Netflix vorbei. Und die amerikanische Online-Videothek hat noch lange nicht genug. Wie CEO Reed Hastings diesen Januar an der CES in Las Vegas bekannt gab, stehen beim Streaming-Dienst alle Zeichen auf Wachstum.

Jüngst expandierte Netflix in 130 neue Länder, darunter Indien, Saudi-Arabien und die Türkei. Dank des neusten Sprungs ist der Streaming-Anbieter mittlerweile in 190 Ländern erhältlich. Die Zahl der Abonnenten stieg gar auf 75 Millionen. Allein 5,6 Millionen neue Nutzer kamen im letzten Quartal hinzu. Wenn es nach dem Videodienst geht, ist noch lange nicht Schluss. 6,1 Millionen Neuabonnenten will Netflix im laufenden Quartal hinzugewinnen.

Mit den Mitgliederzahlen in der Schweiz ist Netflix sehr zufrieden, wie das kalifornische Unternehmen auf Anfrage der Redaktion mitteilt. Die genaue Zahl bleibt jedoch geheim. Zahlen zum Schweizer Markt veröffentlicht Netflix grundsätzlich nicht, wie es weiter heisst.

Streaming "Made in Switzerland"

Ende der 90er-Jahre als DVD-Versand gestartet, ist Netflix in den USA mittlerweile zur festen Grösse geworden. Wie der Netztechnikanbieter Sandvine herausfand, machen in Amerika Musik- und Film-Streaming-Dienste rund 65 Prozent des gesamten Datenvolumens im Festnetz-Internet aus – allen voran Netflix.

Nach dem grossen Erfolg auf dem Heimmarkt startete Netflix seine Expansion rund um den Globus. Nach Kanada folgte Südamerika, bald darauf kam Europa hinzu. In der Schweiz ist Netflix seit September 2014 vertreten. Der Markteintritt blieb nicht ohne Folgen: die Schweizer Telkos Swisscom und UPC Cablecom reagierten prompt und lancierten ihre eigenen Streaming-Plattformen.

Mit Teleclub Play bietet Swisscom seinen Abonnenten neben 15'000 Titeln auch Schweizer Produktionen und ein exklusives Sportarchiv. Wie Swisscom auf Anfrage der Redaktion mitteilt, wollte man mit der eigenen Videoplattform auf den Trend hin zu zeitversetztem Fernsehen reagieren. Von Konkurrent Netflix liess sich dennoch einiges lernen. Von Angst vor dem Rivalen aus Amerika ist bei Swisscom hingegen wenig zu spüren: "Dass uns Kunden wegen Netflix den Rücken kehren, beobachten wir so nicht", sagt Unternehmenssprecher Armin Schädeli. So zeige Swisscom TV ein stetiges Wachstum.

Ausser Swisscom will auch UPC Cablecom im Streaming-Markt mitmischen. Das Unternehmen präsentierte seine digitale Videothek My Prime kurz vor dem Markteintritt von Netflix. Wie UPC Cablecom gegenüber der Redaktion anmerkt, wurden Erfahrungen und Entwicklungen aus anderen Märkten bei der Entwicklung des eigenen Streaming-Dienstes berücksichtigt. Mittlerweile hat My Prime über 12'000 Titel im Angebot – Ergänzungen seien geplant.

Neues Ziel im Visier

Netflix hat sich zum Ziel gesetzt, zur Weltvideothek zu werden. Dazu fehlt dem Videodienst jedoch noch ein entscheidender Markt: China. Der Start im Fernen Osten gestaltet sich schwierig. Früher setzte die Volksrepublik auf die Chinesische Mauer, heute, im digitalen Zeitalter, auf die "Grosse Firewall". So stellt die Regierung sicher, dass Internetnutzer in China nur das zu sehen bekommen, was im Sinn der Regierung ist.

Netflix-Chef Hastings verkündete im Januar, dass sie sich gemeinsam mit chinesischen Internet-Zensoren an den Tisch gesetzt hätten. Vorerst wird Netflix in China aber kaum Fuss fassen können. Hastings selbst zeigte sich an der CES optimistisch: "Vielleicht bekommen wir schon bald eine Lizenz für China, vielleicht auch erst in ein paar Jahren". Momentan sei Geduld gefragt.

Firewall hin oder her – bereits heute soll die Online-Videothek im Reich der Mitte geschätzte 20 Millionen Nutzer haben. VPN-Clients machen es möglich. Netflix verkündete jedoch erst kürzlich in einem Blogbeitrag, dass der TV-Streaming-Dienst eine solche Nutzung unterbinden wolle – auch in China.

Strategie zeigt Wirkung

Mit den steigenden Kundenzahlen wuchsen auch die Einnahmen. Allein im vergangenen Quartal sprang der Umsatz um 46 Prozent auf 566 Millionen US-Dollar. Doch die Wachstumsstrategie hat auch ihren Preis: Der Gewinn des Unternehmens verringerte sich von 83 Millionen auf 43 Millionen Dollar. Allerdings enthielt das Vorjahresergebnis eine Steuergutschrift von 39 Millionen Dollar. Dennoch übertraf der Streaming-Anbieter mit seiner Jahresbilanz die Erwartungen der Analysten.

Wie Netflix in einem Brief an seine Aktionäre mitteilt, bleibt trotzdem ein kleiner Wehmutstropfen. Während das internationale Geschäft boomt, konnten die Abonnentenzahlen in den USA nicht so deutlich zulegen. "Nur" 1,56 Millionen Neukunden gewann der Videodienst im letzten Quartal hinzu. Es deutet also einiges darauf hin, dass der Heimmarkt langsam abgegrast ist.

Für alle etwas

Dem will Netflix mit rund 600 Stunden an eigenen Inhalten entgegenwirken, rund 150 Stunden mehr als im vergangenen Jahr. Hastings und seine Programmverantwortlichen setzten seit dem Launch der Streaming-Plattform im Jahr 2007 auf Eigenproduktionen wie etwa "Daredevil" und "Jessica Jones". 2016 soll das Sortiment um 31 neue Serien sowie 24 Filme und Dokumentationen erweitert werden.

Dank seiner zahlreichen Abonnenten kann Netflix gemäss CEO Hastings auch etwas wagen. Im Gegensatz zu den klassischen TV-Anbietern sei der Videodienst nicht auf eine hohe Quote angewiesen. Das erlaube es dem Unternehmen, riskantere Stoffe zu produzieren.

Auch die Schweizer Anbieter wollen im nächsten Jahr mit Neuheiten aufwarten. Swisscom beobachte das Marktumfeld laufend. "Aktuell werden immer mehr UHD-fähige TV-Geräte verkauft. Das ist ein unumkehrbarer Trend", ist sich Swisscom sicher. Daher werde der Konzern im kommenden Frühjahr eine neue UHD-fähige Box auf den Markt bringen. Auch eine Fernbedienung, mit der Kunden mittels Sprachsteuerung nach Inhalten suchen können, hat der Telko in petto. Eigenproduktionen für Teleclub Play seien derzeit keine geplant. Weitere Produktneuheiten will das Unternehmen zu gegebener Zeit mitteilen.

Bei UPC Cablecom will man weiterhin in lokale Produktionen investieren: Mit "Im Heimatland", einer Koproduktion mit AZ Medien, "bringen wir bereits die zweite Eigenproduktion für My Prime". Zudem bietet My Prime seinen Abonnenten seit Herbst 2015 eine Schweizerdeutsche Fassung der Zeichentrickserie "Heidi" für das jüngere Publikum.

Konkurrenz aus den eigenen Reihen

Dass Netflix mit seinem Streaming-Dienst mit dem klassischen TV konkurriert, ist wenig erstaunlich. Doch auch aus den eigenen Reihen kommt immer stärkerer Gegenwind. Andere Anbieter folgen dem Beispiel von Netflix und setzen ebenfalls stärker auf Eigenproduktionen.

Vor wenigen Tagen gab etwa Konkurrent HBO bekannt, dass der US-Bezahlsender in Spanien mit einem eigenen Internet-Streaming-Dienst an den Start gehen will. Künftig wolle das Tochterunternehmen von Time Warner die Streaming-Rechte eigener Serien, wie etwa "Game of Thrones", nicht mehr an spanische Pay-TV-Anbieter vergeben, sondern sie gleich selbst anbieten. Wie der Dienst in Spanien genau aussehen soll und welche Inhalte er bieten wird, wollte Simon Sutton, HBO-Präsident für internationale Angebote, im Interview mit Bloomberg nicht verraten.

HBO hatte sein Angebot erst im April 2015 in den USA lanciert. Danach folgten weitere Expansionen bis nach Europa. Momentan können Abonnenten in Schweden, Norwegen, Finnland und Dänemark die Online-Videothek nutzen. Doch auch HBO hat noch nicht genug. Gemäss Sutton plant das Unternehmen bereits die Eroberung weiterer Länder. "Spanien ist nicht das erste Land und wird auch nicht das letzte sein", sagte er. Eine Anfrage der Redaktion, ob der amerikanische Pay-TV-Kanal auch für die Schweiz ein ähnliches Angebot plant, liess das Unternehmen unbeantwortet.

Schluss mit Kabel

Analysten prophezeien dem Geschäft mit dem Streaming von Filmen und Serien in den nächsten Jahren weiterhin ein rasantes Wachstum. Kein Wunder wollen auch Schweizer Firmen wie UPC Cablecom und Swisscom ihr Stück vom Kuchen abhaben.

Trotz dieser positiven Prognosen etabliert sich in den USA ein neues Phänomen Namens "Cord Cutting". Dieses beschreibt die Beobachtung, dass vor allem junge Amerikaner vermehrt ihren Kabelanschluss kündigen und ganz auf Online-Videotheken wie Netflix setzen. Gemäss einer Studie der Pear Research Group sei bereits einer von sieben Amerikanern ein "Cord-Cutter". Grund für die Abkehr vom traditionellen Fernsehen sei einzig und allein der Programminhalt. Laut den Forschern liegt die Zukunft des TVs denn auch im "personalisierten Entertainment".

Personalisierte Inhalte auf Knopfdruck

UPC Cablecom will den "Cord-Cutting-Trend" in der Schweiz noch nicht beobacht haben. Die Tendenz hin zu immer personalisierteren Inhalten sei aber auch beim Telko spürbar. Mit der Replay-Funktion stehe UPC-Kunden bereits ein Feature zur zeitunabhängigen Nutzung zur Verfügung.

Bei Swisscom ist man wenig überrascht von den Studienergebnissen aus den USA. Der Telko setzt bereits jetzt auf persönliche Programmempfehlungen, die auf dem individuellen Nutzungsverhalten basieren. Die Daten würden natürlich anonym gesammelt, heisst es weiter.

In fünf bis zehn Jahren will Netflix ein Drittel der Schweizer Haushalte erreichen, die Schweizer Anbieter Swisscom und UPC Cablecom wollen dagegenhalten.

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